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Der Menschenspieler

Der Menschenspieler

Titel: Der Menschenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Lavender
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Tod von Daniel Hayden. Während sie die Buchrücken überflog, dachte Alex: Wusstest du es, Lewis? Wusstest du, dass es hier war, als wir alle in dieses Haus kamen, um Daniel zu betrauern, verdammt?
    »Alex.«
    Sie drehte sich um und sah die Frau in der Tür stehen, wo sie sich anlehnte, als wäre sie erschöpft, als hätte sie eine weite Reise hinter sich. Ihre Haare waren ungekämmt und klebten an ihrer Wange. Sie hatte geweint.
    »Sally, es tut mir so leid.« Die Frauen gingen aufeinander zu und umarmten sich zwischen den zwei leeren Sesseln. Alex dachte: Wie kalt sie ist, wie ungesund, könnte sie ihn …
    »Ich habe ihn gesehen«, stöhnte die Frau, ihr Atem tief und heiß in Alex’ Ohr. »Ich sah Michael dort auf dem Fußboden liegen. Zuerst dachte ich, er schliefe, aber dann sah ich, ich sah all diese Bücher, Alex, all diese schrecklichen Bücher …«
    »Schhhh«, sagte Alex, und sie schwankten gemeinsam in der Stille.
    Schließlich löste sich Sally Tanner und atmete tief ein. Ihre Knie gaben nach. Alex griff nach ihr und erwischte sie am Ellbogen, hielt sie aufrecht.
    »Die Polizei hat mir seit diesem Abend Fragen gestellt«, sagte Sally. »Ein Detective namens Black. Er denkt … Er sagt es nicht, Alex, aber ich kann es in seinen Augen sehen. Er denkt, ich hätte etwas mit dem Mord an Michael zu tun. Kannst du dir das vorstellen, verdammt?«
    Alex schüttelte den Kopf. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
    »Black hat mich noch etwas anderes gefragt.« Sie sah sie fest an. »Er hat nach Aldiss gefragt.«
    Alex’ Haltung versteifte sich. »Und was hast du gesagt?«
    »Ich habe natürlich die Wahrheit gesagt, dass ich seit Jahren nicht mehr mit dem Professor gesprochen habe. Seit der Sache mit Daniel nicht mehr.«
    »Was ist mit Michael?«
    Etwas blitzte im Auge der Witwe auf, etwas Hartes und Festes. Es sagte: zu früh . Dann war es weg.
    »Michael wäre nicht dorthin gegangen. Ich weiß, dass Aldiss in der Nähe wohnt, aber der Kurs – er war für ihn vorbei. Er hat nie über das, was uns damals passiert ist, gesprochen.«
    Dann zerbrach etwas in ihr, und sie fiel nach vorn, wieder in Alex’ Arme.
    Als der Anfall vorüber war, stand Sally auf und sah an Alex vorbei, über ihre Schulter hinweg, auf die Bücher. Selbst diese stummen Gegenstände wühlten sie auf, brachten sie dazu, zu zittern und sich abzuwenden, ihre Hände über ihrem Mund, als bedecke sie einen stummen Schrei. Wieder dachte Alex: Ist sie es? Dann: Tu das nicht, behandele sie nicht so, nur weil Aldiss dir eine weitere Aufgabe gestellt hat. Er könnte falschliegen. Er könnte mit dir spielen.
    »Ich habe ihn gesehen«, sagte Sally. »Und ich werde es nie überwinden. Nie.«
    »Sally, wenn du weißt, wer das getan haben könnte …«
    Schnell sah die Witwe Alex an. Das Licht in ihren Augen hatte sich verändert, war zu einem Funkeln der Wut geworden. Alex sah in diesem Augenblick in ihr das Mädchen aus dem Abendkurs, die Jugend sprang wie eine verborgene Figur hervor, Zorn und Trotz auf ihrer Stirn.
    »Wage es nicht«, sagte sie.
    »Ich habe nur …«
    »Behandele mich nicht so. Nicht hier, nicht nach allem, was ich durchgemacht habe. Wir waren damals alle andere Menschen, als wir diesen Kurs besucht haben. Wir alle. Und wenn du hierher zurückgekehrt bist, um wieder die Heldin zu spielen, dann ist das etwas zwischen dir und deinem geliebten Aldiss. Ich werde um meinen Ehemann trauern und mit dem leben, was ich in dieser Bibliothek gesehen habe, und du hältst dich verdammt noch mal aus meinem und Michaels Leben raus.«

Der Kurs
    1994
    8
    Richard Aldiss begann seine zweite Stunde mit einer Frage.
    »Wer von Ihnen hat den Mann im dunklen Mantel gefunden?«
    Heute Abend stand das Fernsehgerät auf einem seegrünen Rolltisch, auf dem BESITZ DER ANGLISTIKFAKULTÄT JASPER stand. Auf der verschmierten Tafel waren mit der Hand ausgewischte Gleichungen eines vorherigen Kurses. Draußen war die Temperatur auf ein Rekordtief gefallen, und die Kälte drang herein. Auf dem Bildschirm blinzelte der Mörder langsam und wartete auf eine Antwort auf seine Frage. Als keine Antwort kam, hob er die Hände mit der Innenfläche nach oben, als wolle er sagen: Ich warte.
    »Ich hatte zu viel mit meinen Recherchen zu tun«, sagte ein Student hinten im Raum schließlich. Daniel Hayden war ein blasser, ungesund dünner Junge, dessen blonde Haare in die Augen fielen. Er schien einen nie anzuschauen, wenn er sprach. Er war nicht so herausragend wie viele der

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