Der Menschenspieler
dem Boden lag Geschirr. Zerbrochen, vom Tisch gezogen und im Raum verstreut. Überall Glasscherben. Die Stühle umgeworfen und an den Wänden Flecken.«
Aldiss dachte nach. Dann sagte er: »Wie viele Teller?«
»Was?«
Der Professor seufzte. »Eine einfache Frage, Alexandra. Wie viele Teller waren da?«
Sie versuchte, sich an die Küche zu erinnern, an das verstreute Glas. Aber es war sinnlos. Sie konnte sich nur an die Bibliothek erinnern, an die Bücher, an die schreckliche Stille des Ortes …
»Keine Ahnung«, sagte sie verlegen. »Ich erinnere mich nicht.«
»Das wirst du noch«, sagte Aldiss, sein Lächeln wurde angespannter. »Du wirst heute Nacht von diesen Zimmern träumen, und du wirst dich erinnern. Wenn du davon träumst, dann pass gut auf. Ich frage mich, ob nicht andere bei Michael im Haus waren.«
»Andere?«
Aldiss sagte nichts, trank einen großen Schluck Wein. Als er das Glas abstellte, waren seine Lippen dunkelrot verfärbt.
»Die Bücher«, sagte er. »Erzähl mir von ihnen.«
»Zuerst dachte ich, sie seien zufällig verteilt«, sagte sie, »aber als ich genauer hinsah, konnte ich ein Arrangement erkennen. Er war sorgfältig, präzise. Er wollte uns wissen lassen, dass es bei dem Mord genauso sehr um seine Methode ging wie um Michaels Tod.«
»Zufall gibt es nicht. Nicht bei diesem Mann. Seine Besessenheit von den Morden von Dumant wird ihn in eine untragbare Situation bringen. Er schreibt eine Art Fortsetzung, verstehst du, und bei jeder Fortsetzung kann der Autor nicht den Punkt erreichen, bei dem seine Kunst an das Original heranreicht. Das ist eine unmögliche Aufgabe.«
»Sie meinen, er wird ausrasten?«
»Das sage ich voraus, ja. Es wird ihn innerlich zerreißen, weil das, was er tut, nicht ihm gehört. Es gehört dem wahren Dumant-Mörder, dem, den du …«
»Ja«, sagte sie und sah schnell weg.
»Nichts davon gehört ihm«, wiederholte Aldiss. »Wir haben es mit einem Mann zu tun, der sich extrem minderwertig fühlen wird. Er wird wütend sein. Er wird vor Zorn brennen, ihn ausstrahlen. Er treibt sich jetzt auf dem Spielplatz von jemand anderem herum. Im Geist von jemand anderem. Er ist ein Dieb, und alle Diebe werden am Ende gefasst. Aber …«
»Ja, Professor?«
»Bis dahin wird er viel Schaden angerichtet haben«, sagte Aldiss leise.
Alex saß da und starrte den Mann an. Sein Lächeln war zu einem O verzerrt, und eine Hand bewegte sich so langsam auf sein Gesicht zu, dass sie ihr den ganzen Weg über folgen konnte, über die Tischdecke und fast durch die flackernde Kerzenflamme und bis an seine Wange, wo sie auf der dünnen toten Haut lag und die Finger den Unterkiefer wieder schlossen. Sie sah weg, während der Mann an sich arbeitete.
»Irgendwas geht dir durch den Kopf«, sagte Aldiss schließlich. »Etwas, das ich gesagt habe – es passt nicht zu deinen Theorien über das Verbrechen?«
»Nein«, sagte sie, »es ist nur … Darf ich Ihnen eine Frage stellen, Professor?«
Sie sah, dass er zögerte, die schwarzen Herzen seiner Pupillen waren flach zusammengepresst, als er seinen Blick auf sie senkte. Dann sagte er mit messerscharfer Stimme: »Nur wenn du dieses Mal vorhast, höflich zu sein.«
»Haben Sie je davon gehört, dass jemand ermordet wurde, während er die Prozedur spielte?«
Die Vene in Aldiss’ Stirn zuckte. Er dachte über die Frage nach, bevor er sprach. »Sie wird an unterschiedlichen Universitäten auf unterschiedliche Weise gespielt«, sagte er schließlich. »Wir hatten alle unsere eigenen Regeln.«
»Und Benjamin Locke. Was waren seine Regeln?«
Aldiss öffnete den Mund, um zu antworten, hielt jedoch inne. Dann sagte er mit sanfter und bedächtiger Stimme: »Ich möchte im Moment nicht darüber sprechen.«
Sie nickte, ihr Blick glitt über ihn und in den Flur. Da war ein Zimmer, dessen geschlossene Tür bei ihr die Alarmglocken schrillen ließ.
»Wo ist sie?«, fragte Alex.
»Du meinst die holde Daphne«, sagte der Professor. »In Sicherheit. Sie hat ihr eigenes Leben, ihre eigenen Freunde.« Er stand auf und ging durch die Küche, schritt durch eine Messerklinge aus Mondlicht. Er trug keine Schuhe, und seine nackten Füße schmatzten auf dem rauen Linoleum. Als er an dem Tisch vorbeiging, blieb er stehen, direkt bei Alex. Er war jetzt nur Zentimeter von ihr entfernt.
»Erzählen Sie von Dumant«, sagte sie und wandte ihm weiterhin den Rücken zu. »Davon, was dort passiert ist.«
»Ist das eine Gewissenskrise, Alexandra? Glaubst du
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