Der Metzger bricht das Eis
in den Rücken gefallen. Genau in jenem Moment, in dem seine Hilfe zum ersten Mal nötig gewesen wäre. Sie waren zu dritt, Laurenz hätte diesen Zwerg einfach nur abknallen müssen, er hätte erklären können, er sei zu spät gekommen und dieser Schuster bereits tot gewesen. Aber nein, Laurenz hat sich anders entschieden. Noch schlimmer: Laurenz ist nur mit einer einzigen Absicht hier aufgetaucht, mit der Absicht, den eigenen Bruder zu töten. Für das Warum braucht er keine Erklärung. Sich reinzuwaschen, die eigene weiße Weste zu wahren und schließlich alles an sich zu raffen, das war sein Ziel.
Weich ist der Schnee, einladend, was auch immer diese unendlich große Müdigkeit bedeuten mag, ob sie der erste Teil des Sterbens ist oder einfach nur das, was andere Verbitterung nennen. Nichts ist mehr so, wie es war. Nichts. Und nichts wird ihn daran hindern, etwas gegen dieses seltsame Gefühl des Schmerzes zu unternehmen. Wenn er schon untergehen soll, dann nicht allein. Und ja, dieser Gedanke wiederum ist durchaus unterhaltsam. Langsam spürt er sie wieder, seine Lebensgeister.
57
Kniend verharrt Laurenz Thuswalder noch ein Weilchen vor Lisl Kalcher, streicht ihr über den Kopf, dann steht er auf und greift Agnes Kalcher unter die Achsel. Auch Franz Kellner legt Hand an, nur der Metzger kommt nicht weg vom Fleck. Es gibt ja Körperregionen, die selbst im unbekleideten Zustand nicht unbedingt zu den einsehbarsten zählen. Fußsohlen zum Beispiel. Nur: sich hinknien und dabei die Fußsohlen zur Gänze am Boden halten, geht sich beim besten Willen nicht aus, selbst für Artisten. Heiß ist ihm um die Ohren, dem Willibald, und das liegt nicht allein an den gelbgrünen Ohrenschützern seiner warmen Haube. Die größten Kleinigkeiten können sich nämlich, von Wanderlaune gepackt, jederzeit von den Kleinigkeiten befreien und als die größten überbleiben, unübersehbar und von bedrohlichen Ausmaßen. Wenn, angenommen, so ein Kieselstein vom Schotterweg aufbricht, um sich auf die Reise zu machen, entsteht dort nicht wirklich eine Lücke, zumindest keine, die auffällt. Wenn er allerdings andernorts wieder auftaucht, im Vollkornbrot zum Beispiel, sieht das mit der Lücke gleich ganz anders aus.
Nur noch Wut ist es, die den Metzger nun in Beschlag nimmt. Wie gesagt, Laurenz Thuswalder hat die Bloßstellung seiner Schuhsohlen beendet und sich aus dem Knien emporgedrückt, sozusagen auf die Fersen gemacht, und eben genau die rechte seiner beiden Fersen gibt Willibald Adrian Metzger dank einer kleinen neonfarbenen Orangefärbung nun Auskunft darüber, wer heute auf einen Kurzbesuch in Zimmer 202 vorbeigeschaut hat. Er klebt eben hervorragend, nicht nur im Gehörgang, er klebt offenbar noch deutlich nachhaltiger im tiefen Profil eines Bergschuhs, so ein Silikonstöpsel. Nur hält er da weniger dicht. Verräterisch war sein Leuchten, wodurch der Metzger nun zwei Dinge weiß.
Erstens: Auch wenn Laurenz Thuswalder offenbar nicht derjenige ist, der auf andere zielt, ins Visier nimmt er sie trotzdem. Zweitens: Auch wenn er gerade auf seinen Bruder geschossen hat, Laurenz und Stefan Thuswalder sind ein Team.
Laut heult der nun voll besetzte Motorschlitten auf, kurz winkt Laurenz Thuswalder den Kalchers hinterher, dann kommt er zum Holzstoß zurück.
»Alles gut«, erklärt er zufrieden. »Jetzt müssen wir nur noch Ada und den alten Kalcher finden.«
Wie angewurzelt bleibt er stehen, der Willibald, zu keiner Reaktion imstande. Auch Franz Kellner wirkt antriebslos.
»Na, meine Herren, wir dürfen die Kalchers jetzt nicht im Stich lassen!«
Willibald Adrian Metzger muss sich aufraffen und gegen sein Naturell ankämpfen, es liegt ihm einfach nicht, in puncto Gewalt die Initiative zu ergreifen. In diesem Fall und in Anbetracht der geschulterten Waffe seines Gegenübers ist es ihm allerdings lieber, der Erste zu sein. So überzeugt wie möglich tritt er mit in die Manteltaschen gesteckten Händen vor und meint: »Stimmt, wir dürfen die Kalchers jetzt nicht im Stich lassen!«
Da ist dem Kellner Franz noch die absolute Bewegungsunlust anzusehen, zückt der Metzger den Deospray seiner Danjela, schickt ein Stoßgebet zum Himmel, hofft auf ausreichend Dosendruck und drückt den Zeigefinger bis zum Anschlag. Dann zischt es feinzerstäubt, und ein Brüllen folgt als Antwort. Was gut für die Achseln ist, muss eben noch lange nicht gut für die Augen sein.
Den völlig ratlosen, panischen Gesichtsausdruck Franz Kellners kommentiert
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