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Der Metzger bricht das Eis

Der Metzger bricht das Eis

Titel: Der Metzger bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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gleichzeitig!«, berichtigt der Metzger.
    Der Schnee spritzt ihnen ins Gesicht, heftig massiert es die Fußsohlen, die Beine vibrieren, die Backen schwingen, sowohl vorne oben als auch hinten, und dann gelingt den beiden Herren, was hier nur Könner sturzfrei zustande bringen: Sie bleiben stehen, im steilsten Stück der Abfahrt, den Oberkörper vorgebeugt, die Beine gespreizt, dazwischen die obere Hälfte der Dachbox.
    »Ehrlich gesagt: Uns fehlt was!«, stellt Toni Schuster fest, setzt seine Stirnlampe auf, was ihm von hinten ein: »Ehrlich gesagt: Schön, dass du jetzt draufkommst!« einbringt. Hell wird die Nacht, und ganz sicher ist er sich nicht, der Willibald, ob er jemals wieder freiwillig in dem Deckel Platz nehmen will.
    »Verdammt, ist das steil!«
    »Weiter geht’s, und immer schön bremsen!«, lautet das Kommando von vorn.
    Und, wie gesagt, weiter geht es, nun mit kontrollierter Geschwindigkeit und vor allem mit Sicht.
    »Ganz schön viel los da unten!«, bemerkt Toni Schuster wenig später, da stellt sich der Metzger bereits die Frage, wie viel an Restprofil wohl auf den Sohlen seiner neuen Winterstiefel beim Aussteigen noch übrig sein wird. Eine stattliche Zahl an Menschen und Fahrzeugen hat sich da neben dem festbeleuchteten Gasthof Kalcherwirt versammelt. Einsatzfahrzeuge, wie der Metzger einige Höhenmeter weiter unten erkennen kann. Und weil aufgrund der Blendwirkung von Toni Schusters Stirnlampe die beiden Skiboxbobfahrer im Gegenzug nicht erkannt werden können, sind es wiederum einige Höhenmeter weiter unten schon jede Menge verdutzt in ihre Richtung starrende Gesichter und knapp vorm Ziel jede Menge bekannte Gesichter. Dann durchbricht ein Aufschrei der Erleichterung die Stille: »Himmel sei Dank, Willibald!« Spätestens jetzt weiß Willibald Adrian Metzger, warum ein Abfahrer wohl diesen Irrwitz betreibt, sich nach Ertönen eines Piepssignals von einem Starthäuschen aus in völlig zurechnungsfähigem Zustand freiwillig in den gar nicht so unwahrscheinlichen Tod zu katapultieren: um nach Passieren der Ziellinie den Aufschrei der Erleichterung über die nicht unbedingt zu erwartende Unversehrtheit zu hören, um diesen Moment zu empfinden, in dem ihm klar wird: Irgendwer hätte mich vermisst, und sei es aus Mangel einer eigenen dahinschmachtenden Familie nur ein einsamer, die Fanklubfahne schwenkender Schlachtenbummler.
    Warm wird ihm also ums Herz, dem Willibald, wie seine Danjela den Deckel samt Insassen nun erstmals in ernste Sturzgefahr bringt, nur für diese eine Umarmung.
    Und auch Toni Schuster ergeht es ähnlich, allerdings nicht ohne die Frage über sich ergehen lassen zu müssen: »Das ist ja der Deckel von, von … Wo ist denn der Wagen?«
    Und weil er der Antwort: »Du hast doch Vollkasko?« lautstark ein: »Ich weiß, wer uns garantiert sagen kann, wo Ada und der Kalcher Urgroßvater zu finden sind!« folgen lässt, dauert dieser Begrüßungsakt nicht lange, und Toni Schuster steigt um.

59
    »Ich nehm dich nicht mit, Lisl, unter keinen Umständen!«, erklärt Robert Fischlmeier und erhält zum Abschied ein ebenso Striktes: »Aber du holst mich dann dazu, versprochen!«
    So sind es also sechs bewaffnete Männer, einer davon mit Multifunktionsmesser, die sich, aufgeteilt auf zwei Dienstfahrzeuge, diesmal dank Robert Fischlmeiers Schlüsselbund von einer Schranke nicht abhalten lassen und in einem Höllentempo die Forststraße hinaufrasen. Ein kurzer Zwischenstopp, genauer gesagt eine Notbremsung, muss trotzdem eingelegt werden: Wer rechnet um diese Uhrzeit auch mit einem Spaziergänger. So kommt er also erneut mit dem Leben davon, der sichtlich verstörte Kellner Franz, womit sich der mobile Eskortservice des Stefan Thuswalder auf sieben Personen erhöht.
    Ein quer liegender Baumstamm ist es, vor dem der Abzuholende angelehnt sitzt, um seines bereits hohen Blutverlusts wegen das vermutlich endgültige Einschlafen zu verhindern. Direkt erfreut lächelt er Toni Schuster entgegen.
    »Du bist zäh, das muss ich dir lassen!«, meint genau dieser und erhält als Antwort: »Ich hab ja gesagt, ich warte!«
    Ungefragt nimmt Willibald Adrian Metzger in der Küche der Familie Kalcher das mit »Lisl« beschriftete Notizbuch zur Hand, blättert es vor aller Augen durch und erklärt: »Lisl, ich glaub, ich hab was für dich!«
    Dann legt er den Aktenkoffer aus Karl Schrothes Nachlass daneben, holt eines der unzähligen Notizhefte hervor und schlägt es auf. Genau dieselben Zeile für Zeile mit

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