Der Metzger bricht das Eis
Flachmann, gießt einen kleinen Schluck in den für den Metzger gedachten Kaffee, spült die neu entstandene Melange mit einem Zug hinunter, beginnt Edgar zu kraulen und deutet mit einem Nicken aus dem Fenster: »Ich auch! Vom Weiß hab ich genug, das kannst mir glauben!«
»Na, Sie hören sich ja gar nicht gut an am helllichten Morgen!«, schnappt der Metzger den ihm zugeworfenen Spielball auf und setzt fort: »Die Sonne scheint, und es schneit trotzdem, ist doch paradiesisch für einen Wintersportort?«
»Paradiesisch! Willst wissen, was das da draußen vorm Fenster einmal war? A gsunde Wiesn. Und dort und dort und dort auch. Drüben war das Skigebiet, dort war die Alm, da der Hof. Jetzt ist es Viertel nach acht, um die Zeit hab ich im Winter fast schon alle Viacha fertig gefüttert ghabt – das war paradiesisch.« Er beugt sich vor und flüstert: »Heut kann ich Touristen füttern, Frühstück bis 10 Uhr, Mittag 11:30 bis 15 Uhr, Abendessen ab 17:30 Uhr, und die fressen mehr und machen mehr Dreck als die Küh und die Schweindln zusammen, das kannst mir glauben!«
»Sie gehören offensichtlich zur Familie?«
»Wennst wo dreißig Jahr lang angestellt bist, kannst das wohl sagen!«
»Dreißig Jahre, unglaublich. Sag, kennen Sie da vielleicht einen Herrn namens Karl Schrothe, der dürfte hier einmal zu Gast gewesen sein?«
Es folgt ein Ausatmen, so ein langgezogenes Zischen, hört man ansonsten nur beim Lungenfacharzt:
»Na, du bist lustig. Glaubst, ich kann mich an alle Gäste erinnern. Der Name sagt mir jedenfalls gar nichts!«
Auch am Nebentisch wird hörbar Luft aus dem Körper gepresst, allerdings mit schwingenden Stimmbändern: »Aber an uns können Sie sich schon erinnern, oder? Wir haben weder vom Weiß genug noch vom Kaffee!« Dabei rüttelt die Hast-ja-recht-Mama energisch die auf dem Tisch stehende leere Thermoskanne. Kann natürlich ein Segen sein, so eine mitreisende Oma, kann aber auch aus einer Jungfamilie zwei zwischen Mama und Papa hin und her pendelnde Kinder machen. Und viel Einfühlungsvermögen braucht es da jetzt nicht, um den Eltern anzusehen, dass es beim nächsten Urlaub Abgänge geben wird. Den macht nun auch der Kellner, übersiedelt lautstark die volle Thermoskanne des leeren Nebentisches und ist dahin, so wie wahrscheinlich auch Willibalds großer Mokka. Diesbezüglich erweist sich dann der Monolog am Nebentisch als aufputschend genug: »Kannst froh sein, dass ich mit bin, weil mit dir hab ich damals gar keine Hilfe gehabt, und so brav wie die beiden warst du bei Gott nicht! Was ich mit dir alles durchgemacht hab …«
Jetzt spart sich sogar die angesprochene Tochter ihr »Hast ja recht, Mama«. Gibt ja auch wirklich nichts zu sagen, wenn Eltern bei ihren erwachsen gewordenen Kindern für die diesen Kindern erteilten Dienste die offene Bringschuld einfordern. Ein Fremdwährungskredit ohne Deckelung täglich fällig gestellt ist das, ein Anschreiben, ohne jemals freiwillig dort eingekauft zu haben. Auf Lebenszeit im Rückstand – da bleibt nur mehr der Rückzug.
Nach dem ist dem Metzger mittlerweile auch. So eilt er aufs Gäste- WC , erleichtert sich, aktiviert die Spülung, und da ist er nicht der Einzige. Denn auch hinter verschlossener Toilettentür kommt es zur solchen. Kurz strömt das Wasser aus dem Kasten, dann öffnet sich die Tür, allerdings nicht die versperrte. Lisl Kalcher steckt vom Gang ihren Kopf herein, sorgenvoll ist ihr Gesicht, kurz danach betritt Sepp Kalcher die Toilette, nickt dem Metzger zu, das Mädchen folgt ihm. Sportlich sieht sie aus in ihrem engen Skianzug, die Haare zu Zöpfen gebunden, einen Helm in der Hand, Schienbeinschützer an den Beinen.
»Vater, bist du da?« Wieder nickt Sepp Kalcher dem Metzger zu, als wüsste der vielleicht die Antwort. »Wir müssen fahren, die Lisl wartet schon auf dich. Willst nicht dabei sein, wenn sie dem Bub vom Axpichl zeigt, wie früh die Stoppuhr zu laufen aufhören kann? Das Rennen startet in einer Stunde.«
Abermals wird die Spülung betätigt.
»Haben Sie meinen Vater gesehen?«, will er vom Metzger wissen, der aber nur unsicher die Schultern hebt.
»Lisl, ich schau rauf, vielleicht ist er oben!«
Sepp Kalcher verlässt die Toilette, Lisl bleibt zurück, wie immer schweigend.
Und wieder ist die Spülung zu hören.
So geht er also vor zur Toilettentür, der Metzger, und klopft.
»Ist da jemand drinnen?«
Keine Antwort.
26
Toni Schuster hat abgebremst, versucht sich seine Brille sauber zu wischen,
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