Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Metzger bricht das Eis

Der Metzger bricht das Eis

Titel: Der Metzger bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
Vom Netzwerk:
einer Häckselmaschine, bräuchte es natürlich auch kein solches Gitter. Zugeordnet werden konnten die Überreste des Leichnams nur aufgrund der ortsbekannten Softshelljacke des hiesigen Skiklubs und der darin verborgenen Saisonkarte. Eine makabre und zusätzlich für Gesprächsstoff sorgende Note lieferte der am Hinterteil der Leiche befestigte Karton mit der bereits hinlänglich bekannten Aufschrift: »Thus macht Schluss mit lästigen Insekten!« Wenn in dieser Gegend eines eine Regelmäßigkeit hat, der Wintereinbruch ist es nämlich längst nicht mehr, dann die Versuche, dem Platzhirsch Thuswalder eins auszuwischen, seinen Namen zu besudeln, ihm nachhaltig zu schaden.
    Und weil dieser Karton aus der Schachtel eines Zulieferers für Biogemüse herausgeschnitten wurde, von dem sich im Ort nur einer die überteuerte Ware andrehen lässt, nämlich der Kalcherwirt, weiß sich die hiesige Polizei auch ziemlich schnell zu helfen.
    »Geh, Lisl, nimm dir das nicht so zu Herzen«, versucht der dem Metzger bereits bekannte Kellner ein paar Meter weiter am Stammtisch ein linderndes Wort zu finden. »Ist zwar wirklich eine schlimme Geschichte, aber selbst wie ihr alle ganz unten wart, haben die Axpichlers für euch nix übrig ghabt!«
    Was immer der Kellner mit: »Wie ihr alle ganz unten wart« nun gemeint haben mag, ob es »im Tal wohnhaft« oder »am Tiefpunkt des Lebens« bedeuten soll, ist dem Metzger zwar nicht klar, die mit diesen Worten gewünschte Wirkung des Trosts bleibt allerdings aus. Lisl weint bitterlich, umgeben von ihren Angehörigen, und mehr oder minder mittendrin: Willibald Adrian Metzger.
    Das hat sich eben so ergeben. Seine Halbschwester Sophie Widhalm wollte es sich nicht nehmen lassen, höchst besorgt dem Rettungswagen und somit dem angeschossenen Toni Schuster hinterherzufahren, und Danjela Djurkovic wollte es sich nicht nehmen lassen, dazu anzumerken: »Mag ich gar nix, wenn fährst du in solche aufgewühlte Zustand alleine mit Auto!«
    »Fahrt nur«, wurde ihr sichtlich unentschlossener Zustand vom Metzger beendet, »ich fühl mich auch deutlich besser, wenn ich weiß, dass ihr zu zweit unterwegs seid.« Stattgefunden hat dieses Gespräch in Gegenwart der an diesem Morgen erstmals aufgetauchten Hausherrin Agnes Kalcher. Eine Frau Ende fünfzig, mit aufrechter, gertenschlanker Statur, klarem, festem Blick, vom Leben gezeichnetem, strengem Gesicht, dunkelbraunem, kurzem Haar, bekleidet mit einer körperbetonten Jeans und einer blau-weiß karierten Bluse. Seelenruhig stand sie zuerst in der Tür, umgeben von der dem Krankenwagen nachblickenden Jungfamilie, dann klingelte das Telefon, und sie sprach erstaunt, beinahe panisch in den Hörer: »Was, der Erich? Der Tote ist der Erich Axpichl!« Es folgte eine hektische Rückkehr ins Haus, hinterdrein der Metzger. Und wie es eben so ist, wurde der Neugierde direkt vor der Nase die Tür zugeschlagen: Agnes Kalcher verschwand hinter einer mit »privat« beschrifteten Tür.
    Eine geschlagene Stunde verbrachte er dann auf seinem Zimmer, der Willibald, seinen Gedanken nachhängend, die keinen Sinn ergaben, jenes eine vollgekritzelte Notizbuch studierend, das zwecks Entschlüsselung neben seinem Bett lag und dessen Inhalt ebenso keinen Sinn ergab. Nur in einem fand er eine erschreckend logische Konsequenz: In der unheimlichen Voraussage Karl Schrothes: »Jetzt geht es wieder los, das Sterben.« Erich Axpichl ist tot, und diesmal war es Mord, eindeutig. Besteht ein Zusammenhang?
    Felsenfest davon überzeugt, dass nun endlich der Mokka vonnöten wäre, nahm der Metzger dann in der Gaststube Platz. Und diesmal wurde sie aufgestoßen, die Tür, nicht die private, sondern die der Gaststube. Eine völlig aufgelöste Lisl stürzte herein und verkroch sich in der Stammtischecke, gefolgt von Oma Agnes Kalcher und ihrem Urgroßvater.
    Dort sitzen die drei jetzt also, gemeinsam mit dem dazugestoßenen Kellner und dem einige Tische entfernt zwecks Unauffälligkeit Zeitung lesenden Metzger. Liebevoll und geduldig unternimmt man einen Versuch nach dem anderen, ein völlig niedergeschlagenes dreizehnjähriges Mädchen aufzurichten, bis es schließlich ruhig wird – wobei ruhig natürlich nur im Sinne von beruhigt zutrifft, denn reden hat der Metzger das Mädchen seit seinem Aufenthalt hier noch kein einziges Mal gehört.
    Wieder ist es der Kellner, der dem eingetretenen Frieden seinen ganz eigenen Anstrich verleiht:
    »Na, schau, Lisl, hast du endlich aufgehört zu weinen, das

Weitere Kostenlose Bücher