Der Metzger holt den Teufel
nicht weggeschliffenen Strichmännchen am Galgen, die zwei Totenköpfe, die zwei aufgespießten Köpfe, die zwei Köpfe mit blutenden Einschusslöchern, die zwei Köpfe am Fuße eines Schafotts und die zwei Gräber. Wer immer das gezeichnet hat, eines steht jedenfalls fest: Superheldendürften diese beiden Figuren in den Augen des Künstlers keine gewesen sein.
Und die Gewissheit darüber, welche realen Vorlagen hier Modell gestanden haben müssen, drückt dem Metzger nun den Schweiß aus den Poren. Den kalten Schweiß. Gewissheit deshalb, weil der Metzger jetzt natürlich auch die beiden auf den Gräbern angebrachten Symbole verkehrt herum betrachtet. Ganz anders sehen sie aus: diese nun nicht mehr nach unten hängende Krone, die den Metzger folglich auch nicht mehr an ein W erinnert, und diese deutlich dicker gezeichnete Ecke, die ehemals rechts oben, nun links unten ebenfalls einen Buchstaben verdeutlicht. Bleibt nur die Frage: Wer ist dieser Maler?
»Du brauchst was. Na dann, fahren wir?« So lautet wenig später die hellseherische Begrüßung, die ihm am anderen Ende der Leitung von Hausmeister Petar Wollnar entgegengebracht wird.
»Erst am frühen Nachmittag«, antwortet der Metzger.
Gegen sechzehn Uhr wird ohne viele Worte der in der Zwischenzeit gut präparierte Kasten eingeladen und der mit Wernher von Mühlbach vereinbarte Treffpunkt angepeilt. Er sei bei einer Hochzeit, könne zwar nicht weg, aber sich durchaus vor Ort etwas Zeit nehmen.
»Dann komm ich hin!«, antwortet der Metzger spontan.
Kurz nach halb fünf sind sie dort.
»Hier?«, stellt Petar Wollnar erstaunt fest.
Ja, heiraten kann man überall: mit gefrorenen Nasenhaaren am Gipfel des Mount Everest, mit schlackernden Wangen während eines Fallschirmsprungs, mit breiten Lippen während eines Tauchgangs, mit Gummibändernan den Beinen und toller Aussicht, auch auf eine Schädeldeckenzertrümmerung, im freien Fall vom Rand einer Staumauer und offensichtlich auch mit einem lautstarken »Ja, ich will« im höllischen Galopp vorm Wassergraben einer Pferderennbahn.
Dieses Schauspiel ist den beiden Herren aber nicht vergönnt, denn die Hochzeit im Sattel ist um diese Uhrzeit längst vorbei, das zur Unterhaltung gedachte Jagdrennen, die Königsdisziplin im Hindernissport, Tierschutz hin oder her, in vollem Gange, der Metzger schlechter adjustiert als die Stallburschen, Petar Wollnar sowieso mehr angezogen als gekleidet und die Sicht hervorragend. Von ihrer erhöhten Sitzposition aus beobachten die beiden hinter ihrer Windschutzscheibe durch einen Maschendrahtzaun das illustre Treiben auf der Zuschauertribüne. Die Männer allesamt in hellgrauen Anzügen, die Frauen in roten Kleidern. Da muss es einem Brautpaar schon ziemlich an Selbstbewusstsein und Originalität fehlen, wenn es seiner geladenen Gesellschaft eine derart rigorose Bekleidungsvorschrift auf die Hochzeitseinladung drucken lässt. Wie gewollt stechen sie also unübersehbar heraus, der Bräutigam in Schwarz, die Braut in Weiß. Wobei sich da, welch Anbiederung ans Fußvolk, auch aufs Haupt des Bräutigams ein rötliches Blitzen verirrt hat.
Heftig sind die Anfeuerungsrufe. Entsprechend heftig hetzen die Jockeys ihre Rösser über den Parcours. Riesige Hecken wachsen quer über die Rennbahn, hinter manchen befinden sich noch zusätzlich Holzbalken und direkt vor der Tribüne ein Wassergraben. Durchs geöffnete Fenster hören der Metzger und der Wollnar die männliche Stimme aus den Lautsprechern: »Naxosin etwa eine Länge vor Mephisto, drei Längen dahinter Black Lady, gefolgt von Deep Lake und Shiver, das letzte Hindernis haben alle glatt genommen, es geht jetzt auf die Diagonalbahn und den nächsten Sprung zu.«
Zumindest vom Auto aus kommt es dem Metzger so vor, die Pferde springen mehr durch die Büsche hindurch als darüber, und zwangsläufig stellt sich der Gedanke ein: Wie soll sich das bei Hecken mit dahinterliegenden Balken ausgehen, beziehungsweise soll es sich überhaupt ausgehen? Wer immer auch an diesem Irrwitz einen Spaß haben soll, die Gäule sind es mit Sicherheit nicht.
Mit Ferngläsern vor den Augen steht die Hochzeitsgesellschaft auf der Tribüne und beobachtet das Rennen, mit offenen Mündern hocken Petar Wollnar und Willibald Adrian Metzger auf löchrigen Stoffsitzen und beobachten das Treiben, mit einem Lächeln steht Wernher von Mühlbach neben dem Seitenfenster und beobachtet seine Verabredung. Dann klopft er, und im Inneren des Wagens schlagen zwei Herzen
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