Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)
gewisse Anteilnahme am Tod des Herrn Szepansky nicht wirklich gelingen will. Beinah wär durch ihn Irene Moritz zur Witwe geworden.
Dolly hingegen heult sich die Seele aus dem Leib. Auch weil sie ihrem ohnedies schon so wunden Herzen weiteres Leid zufügt, als müsse der Schmerz, um sich ganz herausspülen zu lassen, immer höher und höher geschraubt werden. Längst aufgeklappt hat sie es vor sich stehen, das verbildlichte, tragbare Gedächtnis oft eines ganzen Lebens: ein Computer, in diesem Fall ein Laptop. Und genau dort holt sie ihn sich vor Augen, den niemals wiederkehrenden Rudi Szepansky.
Es dauert nicht lange, und ein Foto nach dem anderen jagt über den Bildschirm die Zeitachse dahin, in die Gegenrichtung, beginnend mit dem gestrigen Tag, darunter unter anderem: eine Gruppe völlig durchnässter Damen, dahinter der große Kanal, die Damen im Bus, die Damen vorm Hotel, dann aber schon erscheint Rudi auf der Bildfläche, Kopf an Kopf mit ihr im Bett liegend, dann alleine mit nacktem Oberkörper. Bitterlich sind Dollys Tränen, zärtlich Danjelas Worte des Trostes, überraschend unbeteiligt der Blick des Willibald. Und weiter geht es: Rudi beim Frühstück, vorgestern Rudi mit Flossen und Taucherbrille, Rudi beim Schwimmen, Rudi mit Gustav und Angela am Strand, Rudi bei Dolly an der Bar, Rudi über alles, dann plötzlich ein Foto vom zusammengerollt auf einem Handtuch liegenden toten Tino, eine paar Schnappschüsse von tanzenden Damen, Bilder mit Eva-Carola Würtmann, Selbstauslöserfotos, Bilder von anderen Hotelanlagen, Bilder zu Frühling-, zu Winterzeiten, die Zeit läuft rückwärts.
Danjela, die ohnedies jedes Fotoalbum einer Theater-, Kino-, Museumskarte vorzieht, stellt Fragen, Dolly erzählt, kommt wie gewünscht auf etwas andere Gedanken, und flugs ist ein Jahr vergangen und wieder die Adria im Bilde, nur halt ohne Szepansky, dafür ein paar recht launige, zeitweise auch durchaus romantische Eichnerbilder.
»Hast du auch gehabt Bekanntschaft mit Eichner?«, zeigt Danjela ihr Erstaunen.
»Nur ganz kurz, der ist eben ein Stammgast. Meine Güte, man ist halt auf der Suche«, läuft Dolly rot an, und erneut meldet sich der Metzger zu Wort, keineswegs beruhigter: »Sag, ist das da im Hintergrund, zusammen mit dem älteren Paar und dem Kind, nicht Angela?«
»Ja«, verteidigt sich Dolly, »aber Gustav und sie waren damals kein Paar. Angela war auch auf Urlaub hier und, und …«
»Das mein ich nicht«, unterbricht sie der Metzger. »Wann hast du das Foto gemacht?«
»Das steht hier: Also fast genau vor einem Jahr«, zieht Dolly fragend die Augenbrauen hoch.
»Gertenschlank, die Dame«, zieht auch der Metzger nun die Augenbrauen hoch.
»Willst du mir geben versteckte Botschaft wegen Figur? Muss ich jetzt gehen auf Diät?«, meldet sich Danjela zu Wort und erhält ein versöhnliches Streicheln ihres Oberschenkels: »Um Gottes willen, ich liebe jedes Gramm an dir, so wie du bist, ist es perfekt!«
Dolly fängt erneut zu weinen an. »Ach, wie schön. Rudi …«
Der Metzger aber übergeht ihren Kummer und ergänzt, seinen Blick auf den Laptop gerichtet: »Ja, ganz schön komisch, wenn du mich fragst: Also wenn ich jetzt richtig rechne, dann müsste eine Frau, die heute ein sicher schon zehn, elf Monate altes Kind hat, vor einem Jahr im siebten, achten Monat, also hochschwanger gewesen sein, oder?«
Den Finger auf den Bildschirm gerichtet, ergänzt er: »Wo ist der Bauch?«
Nun schweigen die beiden Damen, Dolly sucht weitere Fotos mit Angela heraus, allesamt zeigen dasselbe Bild: eine Frau mit Traummaßen, wobei natürlich die wahren Traummaße für manche Dame, vor allem für Dolly, genau so ein Bäuchlein wären.
»Vielleicht ist adoptiert?«, findet Danjela eine mögliche Lösung.
»Aber Angela stillt«, flüstert Dolly.
»Ich hab sie zufällig telefonieren gehört, sie hat, wie auch auf den Foto zu sehen, noch ein zweites Kind.«
»Geht auch Milchbildung auslösen ohne Mutterschaft, brauchst du nur oft genug saugen lassen oder fremde Kind anlegen und massieren, sag ich nur Ammen und Pflegemutter.«
»Wie auch immer. Machen wir lieber in der Werkstatt weiter, sonst werd ich hier nie fertig!«, beendet der Metzger nachdenklich den Besuch in Dollys Welt, denn seine eigene verlangt nach Zuwendung. Dann wird zu den beschwingten Klängen des Radios von allen Seiten ordentlich angepackt.
»Gehen wir nach Hause«, leitet Danjela, Dollys Taschen in der Hand, gegen 16 Uhr schließlich das
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