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Der Meuchelmord

Titel: Der Meuchelmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
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spät ist es?« Diese Frage hatte King ihnen während der letzten Stunde schon dreimal gestellt, und immer hatte er dieselbe Antwort erhalten: »Höchste Zeit für eine aufrichtige Antwort, Mr. King.«
    Sie waren sehr höflich und sehr korrekt. In diesem Stadium war es ganz üblich, daß sich drei Beamte in die Vernehmung teilten. Zwei stellten die Fragen, einer fungierte als Protokollführer. Sie waren alle Männer in mittleren Jahren. Ihr Wortführer sah aus wie ein Universitätsprofessor. Ein ruhiger Mann mit ziemlich langem, grauem Haar. Er hatte sein Jackett ausgezogen, aber das war bisher seine einzige Konzession an die Tatsache, daß das Verhör nun schon ohne Pause die ganze Nacht dauerte. Niemand war ihm gegenüber brutal geworden. King wußte aus Erfahrung, daß Härten in diesem frühen Stadium noch nicht zu erwarten waren. Trotzdem hatte er Angst, als sie mit dem Lift nach unten fuhren und einen langen, kahlen Korridor mit Leuchtstoffröhren an der Decke entlangmarschierten.
    Alles hatte höflich und unpersönlich begonnen, als wäre die Sache gar nicht so wichtig und bald wieder ausgestanden. Er hatte auf alle Fragen die einstudierten Antworten gegeben und war auch nach neunzehn Stunden nicht in einem einzigen Detail von seiner ursprünglichen Darstellung abgewichen. Ihm war schlecht vor Müdigkeit, und sein Kopf schmerzte von der konzentrierten Anstrengung, aber er fühlte keinerlei Feindseligkeit.
    Dabei wäre Aggression für ihn ganz gut gewesen. Sie hätte seine Energie aufgeputscht und ihn von dem Wunsch abgelenkt, endlich schlafen zu können. Der Stuhl, auf dem er saß, war hart und unbequem. Sein Hinterteil schmerzte jetzt genauso wie sein Kopf, und seine Beine waren verkrampft. Man hatte ihm Kaffee angeboten, aber zuerst hatte er ihn abgelehnt. Der Leiter des Verhörs hatte dazu in leiser Verachtung erklärt: »Es sind keine Drogen in den Kaffee gemischt. Diese Methoden wenden wir hier nicht an.« Um es zu beweisen, hatte er einen Schluck aus Kings Tasse getrunken. Zuletzt brauchte King den Kaffee und trank soviel, wie er bekam. Furcht empfand er eigentlich nicht, weil er im Grunde ein tapferer Mensch war und sich seit Jahren in Gedanken auf eine solche Situation vorbereitet hatte. Trotzdem merkte er, daß er ziemlich erledigt war. Das Ende war so greifbar nahe, die Möglichkeit einer derartigen Notsituation so in die weite Ferne gerückt – und trotzdem war dann alles schiefgegangen. Knapp eine Stunde vor seiner Flucht war er verhaftet worden, und er wußte immer noch nicht, wie sie ihm auf die Spur gekommen waren. Bisher war kein Wort von Beirut oder Huntley Cameron erwähnt worden. In dem Verhör ging es nur darum, seinen Widerstand zu brechen und ihn zu dem Eingeständnis zu bewegen, daß er nicht Eddi King sei. Für ihn persönlich war das zwar sehr schlimm, weil es darauf hindeutete, daß sein Deckmantel irgendwo ein entscheidendes Loch haben mußte, aber er konnte immer noch zu seinem letzten Schlag gegen sie ausholen. Von dem Attentat, das an diesem Morgen stattfinden sollte, wußten sie offenbar nichts. Ganz bestimmt war es schon Morgen. Man hatte ihm seine Uhr abgenommen, und ein Fenster gab es in diesem Kellerraum nicht – das war auch der Grund, weshalb er sie immer wieder mit derselben Frage unterbrach.
    »Sie interessieren sich sehr für die Uhrzeit, Mr. King«, übernahm der zweite Beamte das Verhör, um seinem Vorgesetzten eine Pause zu gönnen. »Aber Zeit spielt für uns keine Rolle. Wenn Sie weiter so hartnäckig bleiben, können wir uns noch tagelang miteinander unterhalten. Wochenlang. Nach einiger Zeit werden Sie sich auf Ihrem Stuhl nicht mehr wohl fühlen; aber Betten haben wir hier nicht.«
    »Ich möchte meinen Anwalt sprechen«, erklärte King noch einmal. Jeder Unschuldige hätte diese Forderung gestellt, aber King glaubte nicht mehr daran, daß er sie überzeugen konnte. Sie wußten genug über ihn, um das Verhör fortsetzen zu können, bis er endlich zusammenbrach. Man würde ihn dabei weder schlagen noch unter Drogen setzen. Man brauchte ihn nur so lange wachzuhalten, bis vor Müdigkeit die Halluzinationen über ihn kamen und seine Körperkraft gerade noch ausreichte, um das Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Aber es war auch gar nicht nötig, daß er über einen unbegrenzten Zeitraum durchhielt. Ihm kam es nur darauf an, Widerstand zu leisten, bis er genau wußte, daß Regazzi tot war und die politische Verschwörung ihren Lauf nehmen konnte, durch die John

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