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Der Meuchelmord

Titel: Der Meuchelmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
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Er sah ihn kurz an und bemerkte, daß dieser Beamte ihn besonders aufmerksam beobachtete. Vermutlich war auch dieser Mann gekauft. Es mußte der Mann sein, der das Küstergewand und die Pistole versteckt hatte. Ein Komplize, der ihn später nach dem Attentat hinauslassen würde. Keller erwiderte seinen Blick nicht. Er wußte noch genau, was Elizabeth gesagt hatte: ›Gleich nachdem du Jackson erschossen hast, wird man auch dich töten, damit du nicht verhaftet wirst.‹ Also unmittelbar danach.
    Sobald Keller versuchte, durch die Tür zu fliehen, sollte er erschossen werden. Kings Henker würde wahrscheinlich nachher noch als Nationalheld gefeiert werden, weil er den Mörder des Kardinals erledigt hatte. Dann konnte es nicht mehr passieren, daß der Attentäter gefaßt wurde und etwas ausplauderte.
    Ohne sich um den Mann zu kümmern, machte Keller kehrt und ging zu dem Beichtstuhl zurück. Er versuchte gar nicht erst, ihn heimlich zu betreten. Er schlug einfach den Vorhang zurück und beugte sich vor, als suche er etwas. Neben der kleinen vergitterten Öffnung, die der Verständigung zwischen Priester und Beichtendem diente, hing ein Kopfhörer für die Schwerhörigen. Keller griff nach dem Rand des Knieschemels und spürte, daß ein Teil davon sich anheben ließ wie der Deckel einer Kiste. Er schob die Hand in den Hohlraum, der aus dem massiven Holz herausgeschnitten worden war. Darin lag die Pistole. Als er seinen Kopf aus dem dunklen Beichtstuhl zurückzog, steckte bereits in der Jackentasche unter seinem Kirchendienergewand die Waffe.
    »Alles in Ordnung?« Einer der Posten am Eingang für den Kardinal war herübergekommen.
    »Ja«, antwortete Keller rasch. »Aber ich wollte für alle Fälle noch einmal nachsehen.«
    »Man kann nicht penibel genug sein«, sagte der Mann. »Wenn dieser Kerl heute in die Kirche kommt, kann alles mögliche passieren. Behalten Sie ganz besonders die Farbigen im Auge, die sind am gefährlichsten.«
    »Mach' ich«, sagte Keller. Er nickte dem Mann zu, der zum FBI oder zur Kriminalpolizei gehören mochte. Dabei behielt er die rechte Hand in der Rocktasche, wo seine Pistole steckte. Nach seiner Uhr war es 10 Uhr 25. Das Hauptportal wurde geschlossen. Die Orgelmusik schwoll an, und die dichtgedrängte Gemeinde drehte sich nach einer kleinen Gruppe um, die gemessenen Schritts den Hauptgang herunterkam. Es waren die Ehrengäste, die Privilegierten, die ihre reservierten Plätze einnahmen. Von seinem Platz am oberen Ende der kurzen Treppe aus konnte Keller niemanden erkennen. Auf jeden Fall war Jackson nicht unter diesen etwa zehn oder zwölf Leuten, die von den beiden Sitzreihen die vorderste Bank einnahmen. Er war also nicht gekommen. Jemand mußte ihn in letzter Minute gewarnt haben. Aus den Nachrichtensendungen am vergangenen Abend wußte Keller, daß bereits ein Attentat gegen ihn mißglückt war. Vielleicht war ihm der Mut vergangen.
    Aber dann sah er eine zweite Gruppe, die von der anderen Seite her näher kam. Die Hand in seiner Rocktasche spannte sich um das kalte Metall, als er das schmale Gesicht erkannte, das weißgraue, hochgekämmte Haar, die Stahlbrille auf der hochgebogenen Nase. John Jackson hatte mit seiner Begleitung die Kirche durch einen Nebeneingang betreten. Das war offenbar eine Vorsichtsmaßnahme gegen unfreundliche Demonstrationen aus der Menge, die sich am Haupteingang versammelt hatte. Keller stand dicht neben der hohen Säule mit der gotischen Statue und konnte, wenn er um die Ecke blickte, den prachtvollen Bischofsthron erkennen, auf dem Regazzi während der Messe Platz nehmen würde. Er sah, wie sich Jackson zu ein paar Leuten herabbeugte. Ein unangenehmes Lächeln spielte dabei um seinen schmalen, fanatischen Mund. Noch mehr als auf dem Bildschirm fiel seine nervöse Angewohnheit auf, ständig an der Unterlippe zu saugen.
    Nach Kellers Schätzung betrug die Entfernung nicht mehr als fünf Meter. Der Winkel war allerdings ungünstig. Wenn man den Schläfenknochen genau an der richtigen Stelle treffen wollte, mußte man sehr genau zielen, und das kostete Zeit.
    Ein gewaltiger Akkord brandete von der Orgel hoch und erfüllte das mächtige Gewölbe der Kirche mit triumphierenden Klängen. Die Gemeinde erhob sich. Die Bässe klangen wie fernes Donnergrollen. Keller drehte sich um. Hinter ihm hatte sich in dem zweiten Gang die Tür zur Sakristei geöffnet. Während der Kardinal mit seinem Gefolge nach vorn an den Hochaltar schritt, erklang der Introitus.
    »Wie

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