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Der Meuchelmord

Titel: Der Meuchelmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
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Keller. »Es wird nicht lange dauern. Die Zeit wird dir sehr schnell vergehen.«
    »Mir wird es wie ein ganzes Leben vorkommen«, sagte sie. Sie klappte seinen Koffer zu. Er war ebenso neu wie der Inhalt. Keller sah wie ein anderer Mensch aus, seit er einen dunklen Anzug, ein weißes Hemd und eine gedeckte Krawatte trug, die ihr langweilig erschien. Anders – und doch schon irgendwie für sie verloren. Plötzlich war in ihr der Wunsch aufgekommen, ihn wieder in seinem alten, schäbigen Anzug zu sehen. Dieses Bild trug sie für immer in ihrem Herzen.
    »Ich werde dir schreiben«, sagte Keller und wußte, daß es eine Lüge war. Aber sie stand so unglücklich und verzagt vor ihm, daß er alles gesagt hätte, nur um sie ein wenig zu trösten.
    »Ich kann nicht lesen«, murmelte Souha, »das weißt du genau.«
    »Komm her«, sagte Keller. »Komm her und höre mir genau zu.« Sie trat näher und ließ sich von ihm in die Arme nehmen. »Irgendwie werde ich dir eine Nachricht zukommen lassen. Und eines verspreche ich dir: Ich komme bald wieder. Dann werden wir beisammen bleiben, und ich gehe nie wieder fort. Und jetzt sei ein braves Kind und lach einmal.«
    Die Tränen flossen ihr übers Gesicht. Sie weinte rückhaltlos und ohne die Besorgnis westlicher Frauen um ihr Make-up. Sie barg für ein paar Sekunden ihr Gesicht an seiner Brust, dann hob sie den Kopf und lächelte ihn tapfer an. Es war ein unsicheres Lächeln, zitternd und am Rand eines neuen Tränenausbruchs, eine Qual, die Keller nicht lange ertrug. Sie küßte ihn zärtlich auf den Mund, ein Brauch, den sie erst von ihm gelernt hatte, nahm seinen Koffer und ging zur Tür.
    »Warte auf mich«, sagte er.
    »Ich werde warten«, antwortete das Mädchen. »Mein ganzes Leben lang werde ich auf dich warten.«
    Dann schloß er die Tür auf und lief die Treppe hinunter zur Straße. Er sah nicht mehr hinauf zum Fenster. Er hatte sich von ihr verabschiedet. Ein Blick zurück brachte nur Unglück.
    Nach der Fahrt nach Jebartaa hatte King rasch alle Vorbereitungen getroffen. Er besaß die nötigen Verbindungen und das Geld. Die Pässe boten keine Schwierigkeiten. Sein Verbindungsmann besaß einen ganzen Stapel davon. Das Geld wurde aus Syrien überwiesen, und Kellers Paß erwartete ihn in einem Umschlag am Flugplatz. Das Ticket steckte dabei. Er sollte ahnungslos bleiben, bis er seine Maschine bestieg.
    »Hier Miß Cameron, lassen Sie bitte mein Gepäck herunterholen.«
    Sie legte den Hörer auf und trat vor den Frisierspiegel, um sich noch einmal zu mustern. Alles war klar. Eddi King war am Abend zuvor abgereist. Er wollte noch nach Frankfurt, um in seiner europäischen Niederlassung eine Werbeaktion für seine Zeitschrift Future in Westdeutschland zu besprechen. Elizabeth mochte weder die Zeitschrift noch die darin vertretene Politik. Beides erinnerte sie zu sehr an die erzreaktionären Ansichten, die durch Huntleys Propagandamaschine verbreitet wurden. Auf dem Schreibtisch gegenüber ihrem Bett stand eine Vase mit zwei Dutzend weißer Rosen. Die Karte lag zerrissen im Papierkorb. Darauf stand: »Sie sind großartig, Eddi.« Sie wußte auch nicht, warum ihr diese Worte peinlich waren, warum sie die Karte sofort zerrissen hatte. Nicht einmal die Blumen gefielen ihr. Seltsam, ausgerechnet weiße Rosen zu wählen. Aber King war überhaupt ein seltsamer Mensch. Er besaß viel Charme, war ein angenehmer Plauderer, ein amüsanter Gesprächspartner, beliebt bei Männern, verehrt von den Frauen. Auch Elizabeth mochte ihn gern – nur sollte er ihr keine Blumen schicken. Dabei empfand sie etwas anderes als nur Freundschaft für den guten alten Freund ihres Onkels. Und dieses Gefühl stieß sie ab. Es war albern und unnötig. King meinte es bestimmt nicht so, und die weißen Rosen hatten nichts zu besagen. Sie war nur ganz einfach nervös bei dem Gedanken, daß sie den Mann, den sie nur kurz durch den Hoteleingang gesehen hatte, mit nach Amerika nehmen sollte. King wollte ihr nicht erzählen, was hinter all der Geheimnistuerei steckte. Warum konnte der Mann nicht allein reisen, wenn er doch einen gültigen Paß besaß? Das kam ihr so lächerlich vor, bis sie sich daran erinnerte, daß auch die Zeitungen ihres Onkels so manchen Trick anwandten, nur um ihn nachträglich zu enthüllen und der Regierung anzulasten. Vielleicht wurde etwas Ähnliches geplant, um die Nachlässigkeit der Einwanderungsbehörde bloßzustellen. Wenn der Mann sicher in die Vereinigten Staaten eingeschleust

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