Der Meuchelmord
Lüge. Sie war ihm deshalb nicht einmal böse. Alles drehte sich wie ein Spinnrad.
Bisher hatte sie die einzelnen Gruppen in der großen Halle in der Hoffnung abgesucht, daß irgendwo Keller auftauchen könnte. Jetzt wurde ihr eiskalt vor Angst. Sie mußte dafür sorgen, daß er nicht in die Falle tappte, die Matthews für sie beide aufgestellt hatte. Sie öffnete noch einmal ihre Handtasche und drehte den Zettel mit der Adresse zu einer winzigen Papierkugel zusammen. Die warf sie in einen Papierkorb. Dann war der Augenblick der Panik vorüber. Ihr Denken funktionierte wieder mit beinahe übernatürlicher Klarheit. Sie mußte ihn schützen. Die Kraft ihrer Liebe verlieh ihr Selbstvertrauen. Was aus ihr wurde, war nicht wichtig. Jetzt ging es nur um Kellers Sicherheit.
»Streichen Sie meine Flugkarte, ich reise heute nicht«, sagte sie zu dem Mädchen. »Mein Freund nimmt die Maschine nach Mexiko. Sein Name ist Teller, Theodor, Emil, Ludwig, Ludwig, Emil, Richard.« Der falsche Name auf seinem Paß war ihr gerade noch eingefallen. »Könnten Sie ihm bitte etwas ausrichten?« Eine schriftliche Mitteilung durfte sie nicht riskieren. Sicher beobachtete Matthews sie aus irgendeinem Versteck. Er durfte nicht bemerken, daß sie eine Nachricht hinterließ.
»Tut mir leid, aber wir dürfen keine persönlichen Mitteilungen weitergeben.«
»Bitte«, sagte Elizabeth, »bitte, es ist sehr, sehr wichtig. Sagen Sie ihm, ich käme so schnell wie möglich nach Cuernevaca nach. Und sagen Sie ihm noch viele liebe Grüße von mir.«
Die junge Mexikanerin zuckte die Achseln und lächelte: »Gut, ich werde es ihm ausrichten.«
Wenn sie jetzt weiterging, würde Matthews ihr folgen. Sie wandte sich nach links und ging hinter dem Kiosk vorbei. In diesem Augenblick sah sie Keller. Er kam mitten in einer Gruppe mit vielen Kindern herein. Sie schwankte sekundenlang. Sie mußte sich dazu zwingen, nicht Matthews zu vergessen und einfach auf ihn zuzulaufen, denn das wäre für sie beide eine Katastrophe gewesen.
Wenn er seine Flugkarte abholte, würde die junge Angestellte hinter dem Schalter ihm ihre Nachricht übermitteln. Bestimmt nahm er die nächste Maschine nach Mexiko. Im Haus ihrer Mutter in Cuernevaca war er in Sicherheit.
Peter Matthews versteckte sich zwischen den vielen Menschen an dem Zeitungskiosk. Er sah, wie sich Elizabeth an den Schalter lehnte. Sie griff nach ihren Flugkarten. Jetzt brauchte er nur noch festzustellen, um welche Maschine es sich handelte, dann konnte er Leary anrufen, damit das Flugzeug vor dem Start durchsucht wurde. Er brauchte nicht einmal den Mann an Ort und Stelle festzunehmen. Das war nicht nötig, aber er wollte es trotzdem tun. Er würde sich von hinten an die beiden anschleichen und den Schweinehund verhaften.
Während er noch wartete und so tat, als sehe er sich die Magazintitel an, beobachtete er Elizabeth und hörte die Meldung von Jacksons Ermordung. Er verlor den Kopf nicht. In einer Gefahr hatte Matthews schon immer mit den wachen Instinkten eines wilden Tiers reagiert. Er gab sich nicht zu erkennen, und er versuchte auch nicht, sich vorzudrängen, um den Nachrichtensprecher besser hören zu können. Er blieb genau, wo er war, und behielt das Mädchen im Auge. Langsam schob er die Hand in die Tasche und drückte den Sicherungshebel an seiner Pistole zurück. Jackson war erschossen worden, und nach wenigen Minuten wurde bestätigt, daß auch ein Mann aus Kardinal Regazzis nächster Umgebung den Tod gefunden hatte.
Eine Frau in der Nähe begann zu weinen. Sie schluchzte leise in ihr Taschentuch, und bald machten es ihr andere nach. Jemand fluchte mit leiser Stimme vor sich hin.
Es war also King trotz allem geglückt, seinen Plan mit Hilfe des importierten Mörders durchzuführen. Das wäre nie geschehen, wenn Elizabeth Cameron nicht gelogen hätte. Sie liebte diesen Mann so sehr, daß sie für ihn bereit war zu schwindeln und zu betteln; sie machte sich vor, es sei harmlos und könne durch das vergeben werden, was sie als Liebe bezeichnete. Matthews sah, wie sie ihr Gesicht herrichtete. Wie Galle stieg in ihm die blinde Wut hoch. Er schmeckte diese Wut auf der Zunge, und sie trieb ihm den kalten Schweiß aus den Poren. So etwas brachte nur eine Frau fertig. Nur eine Frau konnte ihr Herz an die Stelle ihres Gewissens setzen und sich selbst täuschen. Elizabeth hatte nicht nur mitgeholfen, zwei Menschen zu töten, sondern sie hatte auch Matthews' Karriere zugrunde gerichtet. Bis jetzt war ihm
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