Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der mieseste aller Krieger - Roman

Der mieseste aller Krieger - Roman

Titel: Der mieseste aller Krieger - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
entgegen bis zur Straßenecke und warf sich mir in die Arme. Wir gingen an den Strand, wo sie mit Hingabe Muscheln und andere Dinge sammelte, die das Meer angespült hatte. Sie füllte eifrig Flors, ihre und meine Taschendamit, als ein heruntergekommenes, verspieltes Hündchen herausfordernd um sie herumsprang. Später folgte es uns auf dem Bürgersteig bis zum Markt. Als Flor sah, dass niemand es holen kam, untersuchte sie seine Ohren und Pfoten wie eine echte Tierärztin und band ihm eine dünne Leine um den Hals.
    »Eines Tages, wenn wir am wenigsten damit rechnen, werden sie sich noch zusammenrotten und uns aus dem Haus jagen«, warnte ich sie kopfschüttelnd.
    »Du irrst dich, Samu. Solange sie nicht kochen lernen, sind wir sicher«, verteidigte Flor kichernd ihre Tierliebe, für die sie allenthalben nur Unverständnis oder gar Missbilligung erntete.

Paitanás, nach Samus Tod 1974
    Tagelang habe ich diesen Trauermarsch vernommen, ohne zu wissen, dass einige unter der Erde mit ihren Geisterfüßen stampften und manch einer von uns umherirrte, um die Leere zu füllen. Tag für Tag bin ich durch die Luft gestreunt, die ich früher atmete, unter der unerbittlichen Sonne, ohne sie noch zu spüren. Und zwar, seit ich wusste, dass du, Titas Sohn, zur Welt gekommen warst und in einer anderen als deiner eigenen Familie aufwuchst – aber du hast, schlau wie dein Großvater, den Verrat gleich gerochen. Ich durchquerte die Wogen des Pazifiks, dem trotz seines Namens nichts Friedliches anhaftete. Die Musik des Trauerzugs begleitete mein Treiben.
    Nach und nach verließen die Menschen Paitanás, die Füße müde von der Last der Resignation. Immer mehr Salpeterbüros schlossen ihre Pforten, entließen die gesamte Belegschaft, die mit ihren Familien auf der Straße landete, und die Leute mühten sich zu Tode, um einen Posten zu ergattern.
    Einige Hunde blieben kläffend zwischen den Trümmern zurück. Manchmal träume ich noch vom Arche , wie es wieder auftaucht aus den sandigen Wogen unter einem tiefblauen Himmel. Ich sehe das schummrige Licht derroten Glühbirnen und höre das Stimmengewirr und das Lachen der Frauen, das die romantische Melodie, die das Grammophon abspielt, verstummen lässt. Dieses Grammophon – beschlagnahmt wegen des Tötungsbefehls. Das du wenige Tage, bevor dich der Tod ereilen sollte, gekauft hattest, Sofanor, um unser in der Wüste gestrandetes Schiff mit Musik zu erfüllen. Die Ironie dieser Ereignisse machte mich rasend. Es gab Zeiten, da hätte ich etwas tun können, um dich aufzuhalten, aber irgendwann hatte ich einfach resigniert und deine krankhafte Gier nach den Truhen mit dem Kupferverschluss hingenommen.
    Ich sage dir, Benito, dass auch ein Toter manchmal, wenngleich es ihm nicht gestattet ist, etwas anderes zu tun als der Stille zu lauschen, mit einem gewissen Groll auf die Welt blickt, müde vom schlechten Schlaf in seinem unbequemen Bett, eben jener Grube, in der sie auch die Tita, Carmelo und so viele andere verscharrt haben.
    Manch ein toter Kumpel setzt einen Fuß auf den Boden, als wollte er sich vergewissern, dass die Erde noch steht, tastet sich Schritt für Schritt voran, angelockt von den festlichen Rhythmen der Trommeln, Becken und Trompeten, die Jahr für Jahr zum Nationalfeiertag aufspielen. Als wollte er das begangene Unrecht wettmachen, tanzt er wie besessen drauflos, hält nicht eine Minute inne, wirbelt mit den Schuhen den Staub auf, denn die Lebenden werfen Schatten zum Beweis ihrer Lebensfreude. Als Zeuge so vieler zerstörter Umarmungen, nach so vielen stillen Stunden, die er seit seinem zu frühen Todverbracht hat, erliegt er nun der Versuchung, das Irreale zu erfinden, endlich erklären zu wollen, was er nie ausgesprochen hat, eine Begegnung mit einem Verwandten herbeizuführen, so wie ich es mit dir getan habe, um dir diese Geschichte, unsere Geschichte zu erzählen.
    Auch wenn sie bemüht sind, unsere Spuren zu verwischen, bleiben mir Erinnerungen, verdammt noch mal, mein Leben als lateinamerikanischer Waisenjunge sollte an irgendeiner Stelle deines Romans auftauchen, Benito. Die Geschichte von uns armen streunenden Hunden, die wir im Dreck aufwuchsen. Hier in Chile war selbst der Unabhängigkeitskämpfer Bernardo O’Higgins ein Bastard. Als Beispiel reicht schon dein Großvater Sofanor. Mit Sofanor wollte die Person, der er sein Leben verdankt, wohl nie über die Angelegenheit reden. Falls einer Bescheid wusste, habe ich jedenfalls nie etwas davon mitbekommen.

Weitere Kostenlose Bücher