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Der mieseste aller Krieger - Roman

Der mieseste aller Krieger - Roman

Titel: Der mieseste aller Krieger - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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betrachtete ich durch das Abteilfenster dieMondlandschaft und träumte von einer besseren Welt für unser Mädchen. Gleichzeitig meinte ich, die schwarzen Schwingen eines Aasgeiers auszumachen, der hoch oben am Himmel kreiste, und wandte rasch den Blick ab.
    Ich habe dir noch nicht erzählt, Benito, dass ich bei der alten Elmira aufgewachsen bin, der Besitzerin des Kiosks, die uns mit dem Verkauf von Zeitungen und Illustrierten, die sie alle drei Monate geliefert bekam, von Bleistiften, Bonbons und Zigaretten über Wasser gehalten hat. An dem Tag, als sie mich bei sich aufnahm, hatte ich Fieber und glich einem räudigen Straßenköter. Sie schaffte mich, der ich nur noch aus Haut und Knochen bestand und von Durchfall geplagt war, zur Krankenstation, wo sie der Arzt beschimpfte, was ihr einfiele, mich in diesem Zustand herzubringen. Ich muss wohl übel dran gewesen sein, denn er gab ihr zu verstehen, dass ich es nicht mehr lange machen würde. Aber am Ende habe ich das Ganze doch überstanden, weil ich nur an einer Magenverstimmung litt – das zumindest hat mir die alte Elmira erzählt, von der ich als Kind schreckliche Prügel bezog, aber da sie mir zu essen gab, bin ich immer wieder zu ihr zurückgekehrt. Sie rechtfertigte die Prügel damit, dass regelmäßig ein Teller Essen für mich auf dem Tisch stand. Ich bin also, wenn du so willst, in einer Hängematte in einem Kiosk großgeworden, die die Alte hinter einer Stellwand mit Lutschern, Kaugummis, Bleistiften, Heften und Karamellbonbons befestigt hatte. Immer ordentlich in Decken gehüllt und in der Nähe des Kohleofens, den die Kioskbesitzerin anzündete,um den Teekessel warm zu machen. Aber das gehört zum Friedhof der Erinnerungen, das Ganze hat ja nichts mit Titas ersten Schuljahren zu tun.
    »Warum hast du der Direktorin nicht einfach einen Tritt versetzt?«, fragte ich sie also. Aber die Kleine wusste keine Antwort und zuckte nur mit den Schultern. In der Schule hatte dieser Wildfang offenbar einen Wandel durchgemacht, der mir entgangen war. Da blieb sie brav auf dem Platz sitzen, den die Lehrerin ihr zuwies, konnte lange Zeit völlig konzentriert an Ort und Stelle ausharren und erhob sich erst, wenn die Direktorin es ihr auftrug. In jenen Jahren stellte die Regierung eine bestimmte Menge an Material zur Verfügung, das von den Schulen eifersüchtig verwaltet wurde. Und es war üblich, dass ein Schüler jeder Klasse die Bögen verwaltete und bei Bedarf an die Klassenkameraden austeilte. Diese Aufgabe war der Tita anvertraut worden. Doch ihre Kameraden rissen ihr das Papier jedes Mal aus der Hand, spielten damit, verlangten neues. So kam es, dass nach dem ersten Halbjahr das Papierfach bereits leer war. Die Lehrerin konnte sich den Vorfall nicht erklären, und als sie die Klasse fragte, was sie mit dem Papier angestellt hätten, zeigten alle auf Tita. Die Direktorin begleitete sie nach Hause, sie wollte wissen, ob Tita das Papier gestohlen habe, und dachte, vor der Mutter würde das Kind nicht wagen zu lügen. Flor öffnete die Tür, bat sie herein und musste sich eine Weile um die Hunde kümmern, die kaum zur Ruhe zu bringen waren – auch in Iquique las meine Frau streunende Hundevon der Straße auf. Die Direktorin nutzte den Augenblick, um Titas Zimmer zu betreten, wo sie nicht nur eine Unmenge an Papier, sondern auch Stifte, Lineale und Tafeln entdeckte. Als Flor ins Esszimmer zurückkehrte, hatte die Direktorin das Haus bereits zusammen mit dem Mädchen verlassen. Tita konnte nicht klarstellen, dass ich jedes Mal voll beladen mit Papier, Stiften, Linealen, Tafeln und einer Menge anderer Dinge für sie und ihre Mama anzureisen pflegte, denn die Frau hatte ihr Urteil bereits gefällt: Tita galt als Lügnerin. Unsere Kleine war derart erschüttert darüber, dass sie verstummte und keine Anstalten machte, sich zu verteidigen. Als Flor sie an jenem Nachmittag von der Schule abholte, um mit der Direktorin zu reden, fand sie die Tita, über ihrem Pult zusammengesunken, ganz allein im Klassenzimmer vor. Sie war wegen dieses Zwischenfalls der Schule verwiesen worden.
    Flor ging die Dinge stets frontal an und meldete die Tita kurzerhand an einer anderen Schule an.
    »Die Direktorin hat dir unrecht getan, aber von jetzt an wird dich keiner mehr verleumden, meine Kleine. Jetzt wirst du eine nettere Lehrerin und nettere Klassenkameraden bekommen.«
    Die Aufregung vom Vortag legte sich mit meiner Ankunft. Kaum hatte Tita mich von weitem entdeckt, rannte sie mir

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