Der mieseste aller Krieger - Roman
Blütenblätter, ihrem vollem Haar und strahlenden Augen, die jeden bezauberten –, blieb diese Entwicklung bei der Ojerosa aus. Sie wurde einfach nicht hübscher. Jedenfalls sagte es ihr niemand, und es gab auch keinen Kerl, dem sie den Kopf verdrehte. Allein ihre Nasewuchs so beträchtlich an, dass sie buchstäblich zum herausragenden Merkmal ihres Gesichts wurde. Überdies war die Haut um ihre kleinen Augen so empfindlich, dass all die Schminke, mit der sie zu retten versuchte, was nicht zu retten war, in den Poren hängenblieb und seither ein violetter Schatten ihren Blick umrahmte – daher ihr Spitzname Ojerosa, die Augenschattige. Es gab ein paar Jungs, mit denen sie sich regelmäßig traf, bis auch die sie verschmähten. Als sie irgendwann erfuhr, dass Flor mich heiraten würde, drehte sie durch. Doch erst die Eröffnung des Arche Noah auf der Jotabeche, zwei Straßen von ihrer Pension entfernt, lieferte ihr den perfekten Vorwand, ihren ganzen Frust über Flor auszukübeln.
Die Familie der Ojerosa besaß ausgedehnte Ländereien in Chanchoquín , einem Dorf in der Nähe von Alto del Carmen, das auf der Landkarte nicht verzeichnet ist. Sie hatten Geld, was sie aber nie nach außen kehrten. Sie waren gekleidet wie alle Leute der Region, machten weder Reisen, noch trugen sie Schmuck. Ich glaube sogar, dass sie lebten, als hätten sie nie etwas besessen. Das Haus, in dem sie wohnten, war groß, doch der Ojerosa war es ein riesiger Hort der Einsamkeit gewesen. Erst nach vielen Jahren der Überredungskunst brachte sie ihren Vater schließlich dazu, die Pension in Paitanás zu eröffnen. Sein Leben lang hat er bereut, das Chanchoquín zu errichten, und jedes Mal, wenn er seine Tochter besuchen kam, warf er ihr vor, dass sie es nicht verstünde, das Geschäft rentabel zu führen. Als die italienische Diva Estela Maris imTheater von Paitanás wahre Begeisterungsstürme auslöste und in den Hafenstädten der Atacamawüste ihre brillanten Vorstellungen wiederholte, die sie bereits in der Hauptstadt und in Valparaíso gegeben hatte, legte die Ojerosa sich erfolglos ins Zeug, um feine Kundschaft anzulocken. Das Chanchoquín blieb eine Absteige für die einfachen Leuten aus der Umgebung, die in Paitanás auf der Durchreise waren. Ihr Vater zeigte sich zunehmend verärgert, obwohl das eigentliche Ärgernis für ihn wohl darin bestand, dass seine Tochter alt wurde, ohne je einen Verehrer gehabt zu haben. Als der Bürgermeister des Örtchens eine Musikkapelle aus Italien für seine Bürgerwehr unter Vertrag nahm, ahnte die Ojerosa nicht, welche Wendung das für ihr Schicksal bedeuten sollte. Die italienischen Musiker veranstalteten Konzertabende in unserem Dorf, waren ausgestattet mit neuartigen Instrumenten und schmucken Uniformen. Es heißt, sie seien erstaunt gewesen, als das Paradies des Goldes, Silbers und Salpeters sich ihnen als eine von wenigen Gässchen umgebene ungepflasterte Straße offenbarte. Es war die erste feste Musikkapelle von Paitanás, und sie umfasste zwanzig Mann. Laut Vertrag waren die Mitglieder verpflichtet, auf Paraden, religiösen Prozessionen sowie zum Zapfenstreich und drei Mal wöchentlich in einem auf dem Platz vor der Kirche von Pater Alzamora errichteten Pavillon zu spielen. Man erzählte sich, einige dieser Musiker seien mindestens solche Trunkenbolde gewesen wie die Soldaten der Infanterieschule von San Mastín. Und vor allemvon einem, Paolo Lembo, wurde berichtet, dass er sich eines Abends schwankend ins Chanchoquín begeben und nach einem Stundenzimmer verlangt habe.
»Du hast dich im Haus geirrt, du Trottel!«, beschimpfte ihn die Ojerosa. »Was du suchst, befindet sich in der Spelunke zwei Straßen weiter.«
Das sagte sie zu ihm, bevor sie sich eines Besseren besann. Sie schickte ihn dann doch nicht fort, sondern löschte das Licht in der Pension und schleifte ihn in ihr Zimmer. Man munkelte, bereits eine Woche später habe sie ihn ihrem Vater vorgestellt. Davor hatte die Ojerosa dem Musikus eines Morgens eröffnet, sie hätten miteinander geschlafen, und nun müsse er seine Pflicht erfüllen und sie heiraten. Das erzählten sich die Pensionsgäste seinerzeit. Doch ich habe das nie geschluckt. Etwas muss vorgefallen sein, obwohl es jetzt vielleicht auch nicht mehr von Bedeutung ist. Die Ojerosa war gar nicht fromm, Paolo aber kam aus Italien, wo alle sehr gläubig waren, weshalb er tat, was sie verlangte. Doch noch in der Hochzeitsnacht ging er sich wieder betrinken und ließ die
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