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Der mieseste aller Krieger - Roman

Der mieseste aller Krieger - Roman

Titel: Der mieseste aller Krieger - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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den Bergen begraben. Als die Ojerosa zur Bank ging, um ihre Konten zu überprüfen, musste sie feststellen, dass sie auf einem Berg Schulden saß, weil Paolo sich für Unsummen eine Zugposaune und eine Klarinette aus Europa hatte kommen lassen.
    Zurück in der Pension schichtete die Ojerosa Paolos gesamte Kleidung, den Koffer, in dem er seine Blasinstrumenteaufbewahrte, den eleganten Anzug, mit dem er einst in Chile eingetroffen war, zu einem großen Haufen, den sie in ein riesiges Flammenmeer verwandelte. Es heißt, einige Schuhputzerjungen vom Bahnhof hätten ihr geholfen, die Hemden und Seidenschals zusammenzutragen. Vor lauter Sorge wegen ihrer Probleme mit der Bank fing die Ojerosa an, ein Gebräu aus Kräutern zu trinken, dessen Rezept und Zutaten sie wiederum von der Lorenzona hatte. Eine Woche nach der Beerdigung erwachte die Ojerosa mit völlig verschorftem Körper und hängte im Flur den roten Samtvorhang aus dem Theater auf. Beim Möbelverrücken fand sie die italienische Vase. Sie verstand nicht, wie dieses Stück dem Feuer entronnen sein konnte. Da beschloss sie, aus der Not eine Tugend zu machen, und stellte die Vase an herausragender Stelle auf ein Möbelstück hinter der Rezeption, damit sie allen Gästen gleich beim Hereinkommen ins Auge fiel. Jedem, der sich ins Chanchoquín verirrte, zeigte sie das kostbare Stück. Sie erzählte, es sei das Verlobungsgeschenk ihres verstorbenen italienischen Mannes gewesen, eines Herrn, der gekommen sei, um sein Vermögen ins Salpetergeschäft zu investieren, und der sich der Musik verschrieben habe. Sie formte die Geschichte, wie es ihr gefiel, und fügte jedes Mal ein neues Detail hinzu. Die Vase verstaubte allmählich auf dem Möbelstück. Nicht ein einziges Mal füllte die Ojerosa sie mit Blumen, weil sie sie nicht mochte. Sie ertrug es einfach nicht, daran erinnert zu werden, dass sie nie in den Genuss von Schönheit gekommen war. Späterdann, als Sofanor und die Inglesa tot waren und López-Cuervo II ihr den Haufen Scherben nach der Untersuchung auf Fingerabdrücke zurückgegeben hatte, erzählte die Ojerosa gerne, auf dieser Vase liege ein Fluch, denn als sie einmal Blumen hineingestellt habe, seien die fast auf der Stelle verwelkt. Das habe sie auch Sofanor klarzumachen versucht, als der mit dem Strauß Rosen aufgekreuzt sei. Doch er habe so glücklich gestrahlt mit seinem schnurrbärtigen Lächeln, dass sie ihm nicht den Abend habe verderben wollen. Da habe sie die Vase genommen, sie in der Küche zur Hälfte mit Wasser gefüllt und ihm aufs Zimmer gebracht. Noch in derselben Nacht sei dann das Unglück geschehen.

Paitanás, 1955
    Ein Jahr nach dem Verschwinden der Soldaten von San Mastín kamen Tita und Flor erneut zu Besuch nach Paitanás, doch da hatte sich bereits alles verändert. López-Cuervo II hatte das Geschäft mit den Pampinos, die er von einem Waggon in den anderen umsteigen ließ, aufgegeben. Tag für Tag hatte er Männer, Frauen und Kinder unwissend und fröhlich singend in den Tod laufen sehen, während sie glaubten, sie seien ihm glücklich entkommen. Das ließ auf die Dauer selbst den Befehlshaber der Carabineros nicht kalt. Es kamen immer mehr Menschen, und die Gewerkschaft von der Calle Maule erweiterte mit jedem Tag die Suppenküche. López-Cuervo II sandte hilfesuchend Telegramme in die Hauptstadt: Er brauche ein weiteres Kommando, ließ er wissen – doch die Antwort blieb aus. Je mehr Leute sich einfanden und sich der Suppenküche oder dem Marsch von der Calle Maule über die Prat bis zur Plaza anschlossen, desto bedrohter fühlte sich López-Cuervo II.
    »Diese Schurken werden allmählich übermächtig!«, brüllte er, als er immer noch nichts vom Ministerium gehört hatte.
    Während deine Großmutter gleich bei ihrer Ankunftmit den Hunden im Patio beschäftigt war, sich mit liebevollen Worten an jedes einzelne Tier wandte, machte sich die Tita Sorgen über das, was auf dem Marktplatz geschah, wo die Menschen sich hungrig versammelten.
    »Dieses Kind ist unmöglich«, schrie Flor.
    »Was ist denn jetzt schon wieder los?«, stöhnte ich. Die Sonne drang bereits mit aller Macht durchs Fenster, aber ich war noch todmüde. In der Früh hatte ich mich damit abgerackert, Klarschiff im Arche Noah zu machen. Meine Lider hoben sich schwer wie Blei. Ich hörte Flor sich mit energischem Schritt unserem Schlafzimmer nähern.
    »Sie hilft mir nicht bei der Hausarbeit. Sobald ich sie darum bitte, wirft sie mir wütend an den Kopf, wir Frauen

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