Der mieseste aller Krieger - Roman
hatte. Sie bahrten den Leichnam auf einem Tisch auf, wo der Mann mittags noch seine Suppe gelöffelt hatte, und bedeckten den Verstorbenen mit Blütenblättern. Die abgetrennte Hand steckte man dem Unglückseligen in eine Tasche seines Anoraks. Die Nachbarn stellten Kerzen vor dem Gewerkschaftsgebäudeauf, und Flor bastelte Blumen aus Krepppapier. Prächtige Krepppapierblumen in vielen bunten Farben, die sie auf feine, aber feste Schnüre auffädelte. Denn in der höllischen Sonnenglut hier verschrumpelten die frischen Blumen in weniger als einer Stunde.
Da Paitanás mitten in einer Bergbauregion liegt, war es üblich, Dynamitpatronen im Haus zu haben. Die Schießmeister, die Schießhauer, die Schießlader, die Bohrhämmerer – die Kumpel hatten tagtäglich damit zu tun, also gab es auch Leute, die das Zeug samt Zubehör verkauften. López-Cuervo II hatte mit seinem Säbelhieb und dem Schießbefehl die Grenzen des Erträglichen überschritten. Und nun marschierten die Arbeiter los, um Dynamitpatronen zu sammeln. Alle beschlossen, es diesen Tyrannen und Mördern zu zeigen.
Unterdessen brach der Krankenhausbetrieb unter dem Zustrom der Verletzten zusammen, man konnte nicht alle aufnehmen. Gott Alzamora hätte nie gedacht, dass er so viel Arbeit bekommen würde. Den Sterbenden erteilte er die Letzte Ölung, den Verwundeten leistete er geistlichen Beistand.
»Alzamora! Alzamora!«, unterbrach ihn eine kleine Frau auf hochhackigen Schuhen bei seinen Pflichten.
»Was gibt es denn, Trinidad?«
»Pater!«, rief sie atemlos. »Die Männer halten Dynamitpatronen in den Händen, und es sieht so aus, als wollten sie die Kaserne der Carabineros in die Luft sprengen.«
Hinter der Trini trat eine ganze Schar von Frauen in Erscheinung, an deren Rockzipfeln verängstigte Kinder hingen. Sie flehten Alzamora an, einzuschreiten. Dem Pfaffen behagte die Vorstellung, sich mit López-Cuervo II anzulegen, gar nicht. Doch er geriet angesichts dieser Frauen und Kinder unter Zugzwang. Seufzend nahm er schließlich die Priesterstola ab, übergab sie der Trini und trug den Familienangehörigen auf, fleißig weiterzubeten. Während er unter dem mächtigen Applaus der Frauen über sich hinausgewachsen war, sank sein Mut mit jedem Schritt, der ihn der Kaserne näher brachte.
»Diese Hundesöhne sind zu allem fähig«, entfuhr es Alzamora ärgerlich und selbstmitleidig. Die ihm aufgetragene Situation überforderte ihn, er hatte Angst, es könnte ihm etwas zustoßen. »Mein Gott! Schenk mir die rechten Worte, damit diese Hornochsen aufhören, Unruhe zu stiften.«
So klagend und Gott anrufend, dabei bemüht, seine flatternde Soutane im Zaum zu halten, begegnete er der Tita. Sie trug ein Tuch um den Kopf gewickelt und hatte sich die Augen mit einem Lidstrich umrandet, um älter zu wirken.
»Lass diese heuchlerische Tour, du alter Halunke. Die Pampinos sind menschlicher als deine Soldatenbande.«
Sie war offenbar ebenfalls auf dem Weg zu den aufgebrachten Minenarbeitern und trieb den verzagten Priester mit energischen Schritten und finsterem Blick die staubige Straße entlang.
Der Pfaffe keuchte und stolperte, für derartige Gewaltmärsche war er einfach nicht geschaffen. Als sie schließlich die Menge auf dem Platz erreichten, blickte er mit puterrotem Gesicht zum Himmel, bekreuzigte sich und flehte den Herrgott um den Mut an, den er gegenüber der Lorenzona bewiesen hatte. Gönnerhaft breitete er dann die Arme aus, um den Pampinos, die den Protestzug anführten, im Namen Gottes Einhalt zu gebieten.
»Meine lieben Söhne, ich will euch sagen …« Doch die Kumpel rannten ihn um, trampelten über ihn hinweg. Sein Aufruf ging in dem wütenden Geschrei der Männer und Frauen unter.
Die Tita packte ihn bei der Soutane und zog ihn zur Seite. Auf der Stelle erklomm sie eine verfallene Mauer, um größer zu wirken und von allen gesehen zu werden. Dann steckte sie die Finger in den Mund und verschaffte sich mit einem durchdringenden Pfiff die nötige Aufmerksamkeit.
»Freunde! Der Mann, den ihr hier seht, die Soutane mit Erde verdreckt, hat eben noch mit den Angehörigen der Verletzten gesprochen. Das verdient euer aller Aufmerksamkeit. Ich denke wie ihr und wünsche diesen Mördern den Tod, aber nicht jetzt, nicht in dieser Situation. Es gibt Verletzte, die unsere Hilfe brauchen.«
Alzamora rappelte sich mit Titas Hilfe wieder auf die Beine. Mit dem Handrücken wischte er sich den Schweiß aus dem Gesicht. Seine Haare hingen ihm wirr in die
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