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Der mieseste aller Krieger - Roman

Der mieseste aller Krieger - Roman

Titel: Der mieseste aller Krieger - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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aus dem Schlaf reißen. Plötzlich fiel mir ein, dass ich ja den Wecker in meinem ledernen Brustbeutel bei mir trug. Ich nahm ihn heraus und stellte fest, dass er es war, der so laut im Takt schlug, was mich beruhigte. Das wollte ich Sofanor erklären, doch er starrte unschlüssig auf ein paar Anhänger. Es wirkte so, als überlegte er, welchen er behalten solle. Als ob er alle Zeit der Welt hätte! Wie unverwundbar man sich im jugendlichen Alter fühlt, Benito.
    Und auf einmal schrillte der Wecker an meinem Herzen, ebenso ohrenbetäubend wie er es später im Chanchoquín tun sollte.
    Ich erstarrte. Sofanor zog die Augenbrauen hoch und konnte nicht glauben, was geschah. Dann griff er sich wahllos einen Anhänger, packte mich am Arm, zog mich aus dem Laden, und wir rannten los. Sofanor bedeutete mir, nicht dieselbe Straße wie auf dem Hinweg zu nehmen, dort würden sie uns sofort einholen.
    Die Inglesa hatte unser Manöver vom Fenster aus beobachtet und zeigte ein verschwörerisches Lächeln, als sie uns vom zweiten Stock eines Gebäudes aus zuwinkte. Von dort hatte sie einen guten Ausblick auf mehrere Häuser, unter anderem auf den Laden, den wir soeben ausgeraubt hatten. Während Sofanor ihr glückselig zurückwinkte, stellte ich den Zeiger vor, damit dieser verdammte Wecker endlich verstummte. Die Inglesa schien schwer beeindruckt, ich weiß nicht, ob von unserer Aktion oder von dem faszinierenden Lächeln meines Freundes. Einen Augenblickspäter sahen wir, wie ein Mann aus dem Laden stürmte und sich auf ein Pferd schwang. In einer Hand hielt er die Zügel und in der anderen ein Gewehr. Er verschwand in die Richtung, die auch wir nehmen mussten. Eines nach dem anderen erleuchteten die Fenster der Nachbarhäuser. Die Leute schauten hinaus, um zu sehen, was los war, und ich dachte, sie alle seien uns nun auf den Fersen. Sofanor fasste in seine Hemdtasche und zog eine plattgedrückte Packung Colmenas hervor, in der noch zwei Zigaretten steckten. Die Inglesa, die sich inzwischen zu uns gesellt hatte, besorgte sofort Streichhölzer und brachte eine Muschelschale als Aschenbecher. Die beiden schauten einander an. Beide lachten. Und während Sofanor versuchte, sich mit ihr zu verständigen, indem er Qualmkringel ausblies, die langsam und friedlich aufstiegen, zitterte ich wie Espenlaub. Schließlich holte die Inglesa noch eine Flasche Schnaps, die wir kreisen ließen, bis auch meine Nerven sich allmählich beruhigten.
    Der Ladenbesitzer kehrte irgendwann zurück und stieg unverrichteter Dinge vom Pferd. Wir beobachteten, wie er gemeinsam mit einer Frau in seinem Geschäft verschwand. Sofanor lächelte still, während wir die Inglesa zur Tür ihres Hauses begleiteten. Ihre Augen erinnerten mich an die einer Schlange, und ich weiß nicht, warum ich dachte, diese Geschichte werde nicht von Dauer sein.

Paitanás, Februar 1974
    Als der Leichenkonvoi Paitanás noch nicht verlassen hatte, erschien Major Apablaza bei mir zu Hause und befahl seinen Männern, mich zum Bahnhof zu bringen. Flor befand sich auf dem Friedhof oder in der Kirche, um der religiösen Trostpredigt von Gott Alzamoras Nachfolger zu lauschen.
    Deine Großmutter hatte beim Zubereiten der Mahlzeiten für ihre Hundekinder plötzlich angefangen, Stimmen zu hören, die Totenwache führte bei ihr zu Visionen. Sie sah deine Mutter, wie sie völlig verdreckt aus dem sandigen Loch stieg, wo man sie erschossen hatte, die Arme ausbreitete und mit flatterndem zimtbraunen Poncho auf sie zukam, als wollte sie sie umarmen. Ich erwog ernsthaft, sie ins Irrenhaus zu bringen, so bestürzt war ich, als ich sie in inniger Umarmung mit einem Hund erwischte und dabei in ein Gespräch mit ihrer verschwundenen Tochter vertieft, von der sie wissen wollte, warum sie sie so lange nicht mehr besucht habe. Ich wollte sie schütteln, damit sie aufwachte – meine Flor, die mit mir durch dick und dünn gegangen war! Ich stellte die Tasche mit dem Fisch auf dem Sofa ab und bat meine Frau, den Hund loszulassen, sonst würde sie den Ärmsten noch erdrücken.Dann führte ich sie ins Bad, um ihr das Gesicht zu erfrischen und ihr diesen verfluchten Schleier abzuwaschen, der ihr den Blick vernebelte. Manchmal kommt mir alles, was ich dir schildere, so unwirklich vor, Benito. Ich bemühe mich, dir dennoch alles zu erzählen, bis hin zu jenem Moment totaler Entwurzelung, als du dem Leib deiner Mutter entrissen wurdest und eine andere Identität annahmst, fern unserer Atacamawüste, ohne eine

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