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Der mieseste aller Krieger - Roman

Der mieseste aller Krieger - Roman

Titel: Der mieseste aller Krieger - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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wir.

Antofagasta, dreißiger Jahre
    Elf Monate ließ die Inglesa nichts von sich hören, sie war wie vom Erdboden verschluckt. Sofanor sagte mir, sie und die Lorenzona hätten ständig miteinander gestritten und dass es ihn krank mache, nicht zu wissen, wo die Inglesa abgeblieben war. Bevor sie verschwunden sei, habe sie sich ihm gegenüber äußerst merkwürdig verhalten.
    »Sie ließ sich kaum noch von mir anrühren. Nicht einmal mehr in den Arm nehmen durfte ich sie, um einzuschlafen.«
    Ich bestellte uns noch ein Glas, damit er sich nach Lust und Laune alles von der Seele reden konnte. Etwas anderes fiel mir nicht ein, was ich hätte machen oder sagen können, damit er sich besser fühlte. Diese Trennungsszene hatte sich im Laufe der Jahre mehrfach wiederholt, und immer wieder war ihr eine Versöhnung gefolgt. Mit anderen Worten: Ich kannte die Geschichte in- und auswendig.
    Am Tag, als er sie zum ersten Mal sah, hatte Sofanor mich an der Fischerbucht von Antofagasta abgeholt, um mit mir eine Runde über den Platz und durchs Zentrum zu drehen. Sofanor hielt sich für raffinierter als Tom Sawyer, und meinen Vorschlag, seinen Revolver ins Wasser zu werfen, fasste er als Beleidigung auf. Der Mistkerlhütete ihn wie seinen Augapfel. Er liebte es, ihn am Zeigefinger zu schwenken wie die Cowboys im Film, steckte ihn routiniert ins Halfter und verfiel in einen breitbeinigen Gang, sobald wir einer seiner Bewunderinnen begegneten. Davon hatte er übrigens viele – in seinem Lächeln lag etwas Magisches, das die Mädchen hypnotisierte.
    Wir machten das öfters, so am Hafen umherzuspazieren, um die einfahrenden Schiffe voller Menschen zu beobachten, doch an diesem Tage blieb mein Freund plötzlich wie angewurzelt stehen. Ich dachte schon, er fühle sich nicht wohl, aber dann bemerkte ich, dass ihn das Deck eines der Schiffe besonders interessierte. Ich folgte seinem Blick und gewahrte ein Mädchen mit hellem Teint, das sich einen Spaß daraus zu machen schien, einen Matrosen um Feuer zu bitten.
    »Gehen wir, Sofa«, sagte ich.
    Mein Freund gehorchte, doch er hörte nicht auf, das Mädchen anzustarren, bis er sich den Hals verrenken musste und über einige am Boden verstreute Seile stolperte.
    »Wenn du ins Wasser fällst, werde ich nicht hinterherspringen, um dich wieder herauszufischen«, warnte ich ihn.
    »Ich weiß. Du bist wasserscheu«, erwiderte er.
    »So ein Unsinn!«, log ich.
    »Du kannst doch gar nicht schwimmen!«, rief Sofanor.
    Ich stieß ihn in die Rippen, schließlich ging mein Geheimnis niemanden etwas an.
    »Wir werden ja sehen, ob du schwimmen kannst«, sagte er lachend. Und dann packte mich dieser Schuft ohne Vorwarnung und ohne dass ich mich hätte wehren können, schleifte mich bis an den Rand der Hafenmauer und hielt mich übers Wasser. Natürlich hätte Sofanor mich niemals losgelassen, doch in dem Moment erschien mir der Abgrund unter meinen Füßen so ungeheuerlich, dass ich fast ohnmächtig geworden wäre. Erst als er mich endlich wieder auf festen Boden stellte, zirkulierte mein stockendes Blut weiter. Mein Gesicht war so weiß wie das der Inglesa, deren grüne Augen ihm nie mehr aus dem Sinn gehen sollten.
    »Hat man je einen Fischer gesehen, der sich vor dem Meer fürchtet! Das geht gar nicht, Samu«, brummte Sofanor.
    Aber was konnte ich denn dafür, ich war so auf die Welt gekommen. Außerdem reichte mir das Wasser nur bis zu den Knien, wenn ich Locos oder Seescheiden zwischen den Felsen suchte. Der Schreck, den er mir eingejagt hatte, war bald vergessen, denn obwohl er ein echter Aufschneider war, war Sofanor von Natur aus gutherzig. Ich habe ihn immer nur aufrichtig erlebt, auch wenn er sich mit der Wahrheit selbst schadete. Als er anfing, seine Schusswaffe um den Zeigefinger kreisen zu lassen, warnte ich ihn:
    »Eines Tages wirst du noch Probleme bekommen, wenn du dich immer als Held aufspielst. Sie werden irgendeinen umbringen und dann dir die Schuld in die Schuhe schieben.«
    »Glaubst du immer noch, dass uns jemand nach so langer Zeit mit dem Raben von Valparaíso in Verbindung bringen könnte?«
    »Ich meine ja nur, du solltest diesen Revolver ins Meer werfen.«
    »Immer wieder die alte Leier! Ich sag dir doch, was vorbei ist, ist vorbei. Ich werde mir mit dem Ding noch Respekt bei diesen Engländern verschaffen.« Er lachte, wie nur ein Großmaul lachen kann.
    »Du bist nicht mehr ganz richtig im Kopf, Sofa!«
    »Sie sollen ruhig wissen, dass ich einen Revolver habe, damit ihnen

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