Der mieseste Liebhaber der Welt
die Abgründe der Filmindustrie und meine wichtige Rolle darin. Ich zählte
die Namen der 25 wichtigsten Filmschauspieler der Stunde auf und erklärte, wann und aus welchem Anlass ich sie bereits getroffen
hatte. Ein kleines Psychoprofil der jeweiligen Hollywoodstars gab es noch obendrauf. Marlene schien sich zu vergnügen. Sie
brachte sogar den Spruch, den sich noch keiner meiner Freunde verkniffen hatte: »Wenn du mal Winona Ryder (ersatzweise das
jeweilige Objekt
ihrer
Begierde) triffst, komme ich als dein Assistent mit.« Bei Marlene war es John Malkovich. Interessante Wahl. Kein Schönling.
Ein Mann mit Charakter, dazu ein wenig abgründig. Marlene hatte es drauf, sich interessant zu machen …
Ich war inzwischen betrunken genug, um eine gesunde Balance aus selbstironischem Witz und kernigem Charakter in süffige Sätze
zu verpacken, und Marlene schien durchaus angetan von mir. Das passierte mir bei Frauen aus ihrer Liga nicht gerade häufig.
Ich hatte auf
Events
schon einige Frauen wie Marlene getroffen, das blieb in meinem Job nicht aus:Chefredakteurinnen von Frauenmagazinen, Ehefrauen von Chefärzten oder bildende Künstlerinnen mit Lehrauftrag, die mich so
gönnerhaft anlächelten wie ihren philippinischen Koch oder das Aupair aus Polen. Noch nie aber war ich von einer dieser gesellschaftlichen
Trophäen beim Whiskydazu aufgefordert worden, sie zu duzen, während sie sich selbstvergessen durchs Haar fuhr. Das fühlte
sich nicht schlecht an, wenn ich ehrlich war. Warum hatte ich mich nur so lange gegen einen Anzug und ein paar teure Schuhe
gewehrt? Ich meine, mit dem bisschen Stoff und italienischem Leder hatte ich schließlich nicht meine Seele verkauft. Ich erweiterte
meine gesellschaftlichen Möglichkeiten, das war alles. Und am Wochenende blieb mir ja immer noch meine zerrissene Lieblingsjeans.
Marlene beklagte sich bitterlich darüber, dass sie sich in ihrem Job jeden Tag in einem Männerrevier beweisen müsse, in dem
es von Alphamännchen nur so wimmele.
»Du glaubst doch wohl nicht, dass diese Herren auch nur einen Funken Humor haben«, sagte sie, »jeder Tag nur Kampf, Kampf,
Kampf. Und alles, was zählt, ist Geld, Geld, Geld.« Sie klopfte bei jeder ihrer Wiederholungen mit einer Hand auf den Tresen.
Sexy.
»Dann musst du ja gut sein, wenn du dich in so einem Haifischbecken behauptest.«
Sie nickte fast ein wenig betrübt.
»Ich bin allerdings froh, dass ich hin und wieder mal einen Mann treffe, vor dem ich nicht in jeder Sekunde des Tages die
Rolle der perfekten Frau spielen muss.«
Dabei lächelte sie mich versonnen an und schaute mir einen Moment zu lange in die Augen, um es vage und unpersönlich klingen
zu lassen. Ich war nicht sicher, aber sie schien jetzt auch schon ein paar Probleme mit der Artikulation zu haben. So langsam
realisierte ich, dass ich bei der eleganten Madame Monheim tatsächlich landen könnte,wenn ich es drauf anlegen würde. (Oder besser gesagt: wenn sie es drauf anlegen würde.)
Das kam jetzt ein wenig ungelegen, wenn ich ehrlich war. Gegen einen kleinen Flirt an der Hotelbar war ja nichts einzuwenden,
aber mehr? Mein Leben hatte sich in den letzten beiden Jahren gerade erst wieder beruhigt. Der Tiefpunkt war mein Rausschmiss
bei der Zeitung gewesen, nachdem ich dort nur noch sporadisch aufgetaucht war. Anschließend hatte ich mich drei Monate lang
herumgetrieben und buchstäblich auf der Straße gelebt. Von einem Tag auf den anderen endete diese Zeit, die ich im Nachhinein
als meine Beatnik-Phase verklärte. Ich hatte einer Menge Sachen Lebewohl gesagt. Hauptsächlich, jedem Rock in München nachzusteigen,
in meinem Auto zu übernachten und zu viel Alkohol zu trinken. Stattdessen brachte ich mich mit einer Menge Kilometer im Englischen
Garten in Form und fand nach einer Reihe von Fehlschlägen meinen jetzigen Job. (Sogar in Festanstellung, die Älteren mögen
sich noch daran erinnern, was das ist.) Eine gute Arbeit, die mir Spaß machte. Ich schrieb über Bücher und Filme, stellte
aber verblüfft fest, dass ich immer dann am besten war, wenn ich die amourösen Katastrophen meiner Vergangenheit zu lustigen
kleinen Kolumnen verdichtete. Es bekam mir gut, dass ich nicht mehr mit 2 2-jährigen Studentinnen herumhing oder im Suff ins Rotlichtviertel fuhr. Ich lernte den Unterschied zwischen gesunden Mahlzeiten und
einem nächtlichen Pastateller im »Adria« kennen. Ich schlief acht Stunden in der Nacht.
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