Der mieseste Liebhaber der Welt
Meine Mutter hörte auf, mir Ratgeber
mit Titeln wie ›Zielen – loslassen – erreichen!‹ und ein paar Pfund Kaffee zu schicken. Sogar meine Absteige in Milbertshofen
verließ ich im Triumphzug in Richtung Glockenbachviertel. Als ich dann auch noch Svenja traf und wir uns ineinander verliebten,
war ich endgültig über den Berg. Wir lebten jetzt schon fast ein Jahr zusammen und ich hatte sie noch nie betrogen.Nicht einmal. Und das Beste war – ich empfand es nicht einmal als großes Opfer. Möglicherweise war ich ja doch erwachsen geworden.
Marlene winkte Frank heran.
»Einen Gin Lemon für Markus und für mich noch einen Bushmills!«
»Doppelt?«
Marlene verneinte.
»Nein, der letzte ist für Genießer!«
Dabei legte sie ihren Arm auf meinen und schaute mir in die Augen.
»Vielen Dank für diesen netten Abend!«
Ich gab das Kompliment zurück und machte Frank ein Zeichen.
»Die Rechnung?«
Ich nickte. Auch Marlene machte Anstalten, unseren Barkeeper zu sich zu zitieren. Ich fiel ihr in den Arm.
»Bitte, lass mich das übernehmen!«
Marlene schaute mich einen Moment überrascht an. Ihre Züge verhärteten sich.
»Bitte, Marlene, es ist mir eine Ehre, ich möchte dich nicht beleidigen.«
Um ihre Mundwinkel zuckte es kurz. Dann legte sie erneut ihre Hand auf meinen Arm und drückte ihn kurz. Es steckte etwas merkwürdig
Intimes in dieser Geste und ich merkte, wie mich diese Frau zunehmend erregte.
»Entschuldige bitte, Markus, das ist wohl ein Reflex auf die Männer, von denen ich normalerweise umgeben bin.«
Ich lächelte geschmeichelt. Offenbar war ich keiner von
denen
.
»Von dir lasse ich mich selbstverständlich gern einladen.«
Noch einmal nickte ich ihr dankbar zu. Werner Schneyder hatte Recht. »Man müsste sich die Unbestechlichkeit bezahlenlassen können«, hatte der Kabarettist und Boxringrichter einmal gesagt. Marlene und ich schlenderten gemeinsam zum Aufzug.
»In welchem Stock wohnst du?«, fragte ich ziellos.
»Ganz oben«, antwortete Marlene und betrat den Lift, dann ergänzte sie mit einem Blick auf das Etagentableau, »im 32. Stock.«
»Das ist aber wirklich
ganz
oben.«
Sie lächelte bloß. Sie war diese Art von Bemerkungen von Männern offenbar gewohnt.
14. Stock. Der Aufzug hielt. Mein Stockwerk. Ich merkte, wie ich begann, zu hyperventilieren. Ich hatte den Eindruck, dass Marlene
nur darauf wartete, dass ich den ersten Schritt unternahm. Mein Puls raste. Ich wusste, dass ich diese Frau vermutlich nicht
wiedersehen würde und dass ich es versuchen
musste
. Ich würde ewig an diesen Abend denken und meine Skrupel und meine Unentschlossenheit verfluchen, wenn ich nicht zumindest
einen
Versuch unternahm, mit dieser wunderbaren Frau zu schlafen. Ich würde es schon schaffen, Svenja für eine Nacht aus meinem
Leben auszublenden, für den Sex mit einer Frau, die meine Umlaufbahn unter normalen Umständen niemals wieder kreuzen würde.
Es wäre wie der Besuch auf einem anderen Planeten, redete ich mir ein, in meinem Universum zählte das gar nicht. Und es wäre
ein Bonus dafür, dass aus mir in den letzten Jahren wieder ein Mensch geworden war, den ich mochte. Meistens jedenfalls. Außerdem
wollte ich doch wohl kein kleinbürgerlicher Knicker sein, der sich von moralinsaurem Geschwätz das Recht auf die freie Entfaltung
seiner Persönlichkeit rauben ließ? Schon Schopenhauer hat schließlich gewusst, dass die Wollust und die Kopulation der Kern
aller Dinge seien, das Ziel und der Zweck allen Daseins. Wer bin ich, Schopenhauers Einsichten anzuzweifeln?
»Möchtest du noch auf einen Absacker mit auf mein Zimmer kommen?«, sagte ich im letzten Moment mit heiserer Stimme, bevor
sich die Aufzugtür wieder schließen konnte. Ich wedelte zur Sicherheit kurz mit der Hand vor dem Bewegungsmelder. Die Tür
blieb offen. Marlene wirkte nicht überrascht. Sie zögerte einen Moment, dann trat sie aus der Kabine und sagte nur:
»Sehr gern.« Nichts weiter.
Wir gingen schweigend den nur trüb beleuchteten Gang hinunter, und zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass dicke Hotelteppiche
die Schritte von Gästen wirklich verschlucken können. Die Stille auf dem Flur war atemberaubend, es war, als ob wir 10 000 Meilen unter der Meeresoberfläche spazierten. Ich platzte beinahe vor Anspannung. An der Tür zu meinem Hotelzimmer – Nummer 1414 – nestelte ich nervös meine Keycard aus meiner Anzughose, da drängte sich Marlene plötzlich neben
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