Der mieseste Liebhaber der Welt
können. Und was soll ich sagen: Es gefiel uns
beiden
.
»Wird diese Frau jetzt immer zwischen uns liegen?«, fragteich hinterher, und Svenja kniff mich in die Lende: »Das hättest du wohl gern!« Wie heißt es doch so schön: Lieber ein paar
Dinge im Kopf, die man bereut, als ein Leben lang bereuen, gewissen Versuchungen nicht nachgegeben zu haben. Oder so.
Rückblende, Dezember 1991
Der zweite Sündenfall
In den neunziger Jahren zeichneten sich Weihnachtsfeiern bei Frauenmagazinen durch zwei Dinge aus. Erstens: Die Getränke sponserte
ein Anzeigenkunde aus der Spirituosenbranche, was dazu führte, dass es immer zu viele davon gab. Zweitens: Der Damenüberschuss
war immens. (
Do the math
würde der Amerikaner sagen.) Die wenigen Heteros der Branche liefen stets Gefahr, von ihren enthemmten Kolleginnen auf der
Tanzfläche zum Affen gemacht oder in einer dunklen Ecke zu einer wilden Knutscherei abgeschleppt zu werden. Meistens blieb
es bei unspektakulärem Ringelpiez mit Anfassen, nur gelegentlich entwickelte sich bei diesen Gelegenheiten mehr als eine amtliche
Trockenübung. Auch als ich Mila so behutsam wie einen kleinen Welpen auf den riesigen Kleiderberg bettete, der aus der Wintergarderobe
meiner Kolleginnen bestand, küssten wir uns zuerst mit fröhlicher Ziellosigkeit. Doch irgendwie kamen wir nach einer Zeit
gehörig vom Weg ab. Unsere süße, zierliche Praktikantin war daran nicht ganz unschuldig, um es vorsichtig auszudrücken. Wir
gruben uns fiebrig eine geräumige Höhle unter all den Jacken, Mänteln und Parkas der Belegschaft, und selbst ein ausgebildeter
Jagddackel hätte seine Probleme gehabt, uns in dem bunten Textillabyrinth ausfindig zu machen, hoffte ich zumindest. Ich wünschte,
es existierte ein Super-Acht-Film dieser Szene. Vermutlich würde man darin bloß hin und wieder einen nackten Hintern aufblitzen
sehen und ansonsten nur einen repräsentativen Durchschnitt derdeutschen Wintermode von 1991. Müssten großartige Bilder sein, Jürgen Teller meets David La Chapelle. Ich wünschte mir solch einen Film allerdings nicht
nur aus ästhetischen Gründen. Vermutlich würde er nämlich beweisen, dass die süße, unschuldige Mila an diesem Abend ganz schön
auf ihre Kosten kam und keinesfalls von einem verantwortungslosen und manipulativen Kulturredakteur genötigt wurde – zu was
auch immer. Leider gibt es diesen Film nicht, stattdessen eine Menge böser Gerüchte. Plötzlich standen nämlich unsere drei
unzertrennlichen Schlussredakteurinnen im Zimmer und schauten schockiert auf das wimmelnde Stofftier hinab, unter dem sie
auch ihre Mäntelchen vermuteten. (Was wollten diese langweiligen Elsen auch schon so früh zu Hause?) Mila und ich krochen
nach einer Weile unter dem Kleiderberg hervor, zogen unsere Hosen und Hemdchen zurecht und verschwanden verlegen grinsend
und wortlos vom Tatort wie ein paar Zwölfjährige, die man beim Naschen in der Vorratskammer erwischt hat.
Ein paar Tage kursierte die Geschichte bloß innerhalb der Redaktion. Meine Kolleginnen rümpften die Nase und schnitten mich
bis auf Weiteres. (Ich glaube, sie ärgerte in erster Linie, dass Mila noch so verdammt jung war – und sie nicht mehr.) Auch
die wenigen heterosexuellen Kollegen schüttelten den Kopf, wollten aber alle Einzelheiten erfahren. (Vor allem, wie ich es
geschafft hatte, bei ihr zu landen. Als ob ich das wüsste!) Denjenigen aus dem Kollegium, die sich nicht schämten, mir eine
Quittung in die Hand zu drücken, zahlte ich die Reinigung für ihre Mäntel. (Ich nehme an, das war ein symbolischer Akt.) Meine
Chefredakteurin MGG bat mich zu einer ernsten Unterredung in ihr Büro und händigte mir anschließend eine Abmahnung aus. (MGG
= Margrit Gunther-Glembitzer – man ahnt, warum sie keinen Wert darauf legte, mit ihrem vollständigen Namen angesprochen zu
werden.) Schließlich erhielt Mila nochBesuch vom Betriebsrat, einem Herrn mit Backenbart und betrübter Ausstrahlung. Glücklicherweise hatte Mila den Mann im Griff.
Sie überzeugte ihn sehr nachdrücklich davon, dass sie sich von niemandem zu irgendetwas »nötigen« ließe, das sie nicht selber
wolle. Ich bin Mila noch heute dankbar für ihre Weigerung, sich von irgendwem zum Opfer machen zu lassen, auch wenn er einen
Backenbart trug und sich den schnellen Späßen des Lebens aus einer eher problemorientierten Perspektive näherte. Nach dem
Gespräch mit Mila wurde der Backenbart auch bei
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