Der mieseste Liebhaber der Welt
mir vorstellig, aber es war ihm anzumerken, dass unsere Mode-Praktikantin
die Grundfesten seiner Welt erschüttert hatte – es fehlte nicht viel, und ich hätte ihm mitfühlend die Hand gehalten. Von
seiner Seite kam dann auch nichts mehr nach. Ich wünschte, das könnte ich auch von Svenja behaupten.
Man kann ja eine Menge Böses über Hochglanzjournalisten sagen. Dass sie besonders diskret seien, gehört aber ganz sicher nicht
dazu. Es dauerte nicht mal zehn Tage, da war die Episode der klassenübergreifenden Vereinigung zwischen Alt-Redakteur und
Jung-Praktikantin in allen Münchner Verlagshäusern rum. (In unserer Branche konnte man schon froh sein, wenn der böseste Klatsch
nicht im ›Kress Report‹ neben den Dilbert Comics veröffentlicht wurde.) Auch bei Svenja – die zwar in einem anderen Haus,
aber ebenfalls im Verlagswesen arbeitete – schwappte schließlich eine infame Stille-Post-Version meiner Untat auf den Schreibtisch.
Ich musste ihr beim Leben meiner Mutter schwören, dass ich keineswegs eine sechzehnjährige Schulpraktikantin systematisch
betrunken gemacht und anschließend im Beisein einiger Kollegen dazu genötigt hatte, mir einen Blow Job zu verabreichen. Allerdings
reagierte Svenja auch auf die authentischere Rekonstruktion meines Fehltritts nicht vergnügter. Diesmal hatte sie deutlich
mehr Probleme, sichauf den komödiantischen Aspekt der Geschichte zu konzentrieren. Sie packte noch am selben Tag ein paar Taschen und tauchte
am Tag vor Heiligabend bei einer Freundin unter. Glänzendes Timing. So erhielt ich endlich einmal die Möglichkeit, Weihnachten
so zu verbringen, wie ich es schon immer geplant hatte. Mit Tiefkühlpizza, einer Menge Videofilmen und allein.
Drei Wochen hörte ich nichts von Svenja, bis auf eine kleine Nachricht auf dem AB.
»Es ist schon schlimm, dass du glaubst, du müsstest jedem verdammten Rock hinterhersteigen, aber für mich ist es fast noch
schlimmer, dass du es offenbar nicht mal für nötig hältst, deine Dauerbestäubungen ein wenig diskreter abzuwickeln. Du machst
mich kleiner, als ich mich fühle – selbst an
deiner
Seite!«
Rumms.
Okay, sie wollte mich verletzen. Das war ihr gelungen. Ein paar Tage fühlte ich mich wie der Anführer der örtlichen Bonobo-Bande.
Was sollte denn das heißen:
Selbst an deiner Seite
. War es wirklich so eine Strafe, mit mir zusammenzuleben? Gab ich ihr jeden verdammten Tag Anlass, über ihre Menschenkenntnis
nachzudenken, war ich die Ausgeburt des Bösen, nur weil ich billigen Vergnügungen
once in a while
nicht widerstand? Ich grübelte eine Woche lang und versuchte das alles einmal aus einer objektiven Perspektive zu sehen.
Danach ging es mir gleich besser. Denn die Fakten, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Geschworene, die Fakten sehen
doch ganz anders aus. Seit nahezu drei Jahren lebte ich jetzt schon mit einer einzelnen Frau zusammen, und zwar gerne. Und
das, obwohl, wie jeder schwach begabte Verhaltensforscher inzwischen im zweiten Semester lernt, der Mensch nicht zur Monogamie
geboren ist. Was wir treiben (beziehungsweise uns verkneifen), ist nicht artgerecht, und wenn aus der Evolution nicht so ein domestiziertes Häufchen Elend
geworden wäre, dann würden wir Männchen heute keinen Hummer fahren, nicht in Fitnessstudios herumhampeln oder durch sonstige
idiotische Dinge sublimieren, dass wir im Grunde unseres Herzens nichts lieber täten, als unseren Samen in der Welt zu verstreuen.
Und zeigen Sie nicht mit dem Finger auf mich. Ich wiederhole mich, aber einen kompetenteren Freund finde ich nicht: Schon
Schopenhauer hat gewusst, dass die Kopulation das wahre Wesen und der Kern aller Dinge sei.
Schopenhauer
.
Aber kurz zurück zu mir und meinen bescheidenen Erkenntnissen. Seit drei Jahren lebte ich nun schon mit Svenja zusammen. Ich
bereitete uns zweieinhalb Mal in der Woche ein genießbares Nachtessen zu, obwohl ich Kochen hasse. Ich schlief auf der verkehrten
Seite in unserem Doppelbett, weil Svenja es richtig fand. Ich zog meine Schuhe in der Wohnung aus, obwohl ich das für den
ersten Schritt auf dem Weg zur Jogginghose halte. Ich hörte keine alten Vinylplatten und begann am Wochenende erst dann mit
der Lektüre der ›Süddeutschen‹, nachdem ich ihr Obst und Kaffee ans Bett gebracht hatte. Ich kannte inzwischen
alle
Filme mit George Clooney und verbrachte Heiligabend im Kreise einer Familie, die nicht meine war, es aber für eine gute
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