Der Milliardär und das Kindermädchen
erreicht hatte. Unangenehm, weil sie noch viel, viel mehr erreichen wollte.
Manchmal saß Livie einfach nur da und starrte stumm aus dem Fenster. An solchen Tagen fürchtete Melanie, nie wieder zu dem Mädchen durchdringen zu können. Und dann wiederum gab es Tage, an denen Livie so bockig war, dass Melanie fast die Geduld verlor und nur zu gut verstehen konnte, warum ihre Vorgängerinnen früher oder später gekündigt hatten.
Trotzdem – Melanies Meinung nach lag das an der unglücklichen Situation, nicht etwa an Livie selbst. Vielleicht waren ihre Vorgängerinnen auch einfach nicht damit klargekommen, dass sie dem Mädchen gegenüber manchmal so streng sein mussten.
„Ich finde, dass du ein echter Glücksgriff bist, Melanie“, meldete sich Scott wieder zu Wort. „Mrs. Howe sieht das übrigens genauso.“
Die Verwalterin räusperte sich. „Erst war ich mir etwas unsicher“, bemerkte sie.
„Ja, aber dann sind Sie doch von Ihrer Meinung abgekommen, was?“ Scott sprach mit hoher Stimme weiter und ahmte damit Mrs. Howes Tonfall nach. „Mr. Foley hat keine Ahnung, worauf er bei einer Nanny zu achten hat. Kaum kommt jemand mit einem hübschen Gesicht vorbei, schon …“
„Jetzt ist es aber gut“, unterbrach die Verwalterin ihn.
„Ich wiederhole nur wortwörtlich, was Sie gesagt haben“, verteidigte sich Scott und grinste schelmisch.
Melanie beachtete ihn nicht weiter, sondern dachte noch über das nach, was Mrs. Howe über sie gesagt haben sollte. Fand Zane Foley sie wirklich hübsch? Am Telefon hatte er sie seinem Bruder gegenüber bloß als „engagiert“ bezeichnet, aber vielleicht wussten die Angestellten auf Tall Oaks mehr?
Und was war mit den anderen Nannys, ihren Vorgängerinnen? Hatten die ihm etwa gefallen? Melanie spürte einen Stich. War das etwa Eifersucht? Das ist doch lächerlich, dachte sie.
Allerdings war sie unheimlich neugierig auf alles, was sie über ihren mysteriösen Arbeitgeber in Erfahrung bringen konnte. Bisher hatte ihr nur Monty, der Chauffeur, ein paar Details aus Mr. Foleys Leben erzählt … und von seiner verstorbenen Frau Danielle.
„Ich bin jetzt so weit!“, rief Livie ihnen gerade zu.
Melanie stand auf und stellte die tragbare Stereoanlage an, die neben dem Vorhang stand. Dann zog sie den Vorhang zurück.
Das kleine Mädchen trug einen pinkfarbenen Gymnastikanzug und Ballettschuhe, die Zane Foley ihr an Melanies zweitem Tag zugeschickt hatte.
Mrs. Howe und Scott applaudierten laut.
Die ersten Takte des Stückes, das Livie sich als Begleitung ausgesucht hatte, erklangen, aber das Mädchen regte sich nicht.
„Livie?“, flüsterte Melanie ihr zu.
Mit großen Rehaugen blickte das Mädchen ihre Nanny an – als hätte sie alle Tanzschritte vergessen, die Melanie ihr jemals gezeigt hatte. Für die kleine Aufführung hatten sie kein festes Programm einstudiert. Stattdessen hatte sie Livie ermutigt, sich einfach spontan für einen Stil zu entscheiden, der gerade zu dem Stück passte: ob Ballett, Jazz- oder Stepptanz.
Vielleicht war genau das falsch gewesen, und Livie brauchte wirklich eine feste Struktur, an der sie sich orientieren konnte – schließlich war sie das so gewohnt.
Melanie schluckte. Dann ging sie auf das Mädchen zu, fasste sie an den Händen und tanzte einfach mit ihr los.
Livie ging sofort darauf ein. Lachend ahmte sie alle Tanzschritte nach, die Melanie ihr vormachte. Dabei hatte sie die ganze Zeit nur Augen für ihre Nanny.
Als das Stück vorbei war, klatschten Scott und Mrs. Howe Beifall und riefen laut „Bravo!“ Livie und Melanie verneigten sich. Die Kleine hatte gerötete Wangen und strahlte über das ganze Gesicht. Dann schaute sie wieder ihre Nanny an.
Melanie stockte der Atem. So hatte sie noch nie jemand angesehen, keines von den anderen Kindern, um die sie sich gekümmert hatte. Spontan schloss sie Livie fest in die Arme.
Ohne zu zögern erwiderte Livie die Umarmung und schmiegte dabei den Kopf an Melanies Schulter.
Für einen Augenblick stand für Melanie die Welt still. Und dann wurde ihr klar, was sie sich die ganze Zeit so sehr gewünscht hatte: Sie wollte gebraucht werden, wollte Liebe geben und bekommen – so wie jetzt.
In ihrer Fantasie kam noch ein Mann dazu und legte die Arme um sie und das Kind, zog sie zu sich heran. Jetzt waren sie eine richtige Familie, wie Melanie es sich immer gewünscht hatte.
Der Mann war Zane Foley.
Baulärm durchbrach ihre Träumerei. Weil auf Tall Oaks Anfang Juli eine
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