Der Milliardär und das Kindermädchen
umstehenden Bäume gegen die alten Mauern schlug und der Mond seinen fahlen Schein in ihr Zimmer warf … musste sie unweigerlich an ihn denken. Daran, wie es sich angefühlt hatte, zum Abschied seine Hand zu berühren.
Jedes Mal, wenn sie sich daran erinnerte, lief ein Prickeln über ihre Haut.
Inzwischen war es Juni, und der Sommer stand vor der Tür. Nach den Ferien würde Livie auf die Grundschule kommen. Für das Mädchen war das ein wichtiger Schritt, den Melanie gern mit ihr feiern wollte. Gemeinsam wollten sie den Hausangestellten einen kleinen Tanz vorführen, genauer gesagt: Mrs. Howe und dem Koch. Die beiden saßen auf Decken auf dem Fußboden. Aus einer weiteren Decke hatten Livie und Melanie einen Vorhang gebastelt. Dahinter wartete das Mädchen jetzt, und Melanie stand als Ansagerin davor. Gleich sollte es losgehen.
Der Koch hockte im Schneidersitz da und grinste Melanie an. Schon in der ersten Woche hatte er ihr angeboten, ihn Scott zu nennen.
Daneben saß Mrs. Howe. Sie hatte die Beine damenhaft untergeschlagen. Der helle Rock reichte ihr bis zu den Knöcheln. Ihr Vorname war Sue, aber als Melanie sie einmal so angesprochen hatte, hatte ihr das offenbar gar nicht gefallen. Daher blieb Melanie ihr gegenüber förmlich.
„Ist die Künstlerin schon bereit?“, erkundigte sich Melanie bei Livie.
„Noch fünf Minuten!“, rief das Mädchen zurück.
„Okay.“ Melanie lächelte den Zuschauern zu, setzte sich daneben und zupfte ihr Sommerkleid zurecht. „Hinter dem Vorhang wird wahrscheinlich noch geprobt“, flüsterte sie. „Livie ist ziemlich nervös.“
Scott zuckte mit den Schultern. Er wirkte so gelassen und entspannt wie immer. „Kein Problem, das ist schließlich ihre Premiere. Da darf die Kurze sich ruhig Zeit lassen.“
Mrs. Howe seufzte. Offenbar gefiel ihr der Ausdruck „die Kurze“ nicht. Dass sie Scotts Ausdrucksweise missbilligte, kam überhaupt häufiger vor.
Melanie grinste den Koch an. „Tja, das ist das Schöne an den Sommerferien … dass wir uns nicht mehr so streng an irgendwelche Zeitpläne halten müssen.“
„Trotzdem haben Zeitpläne durchaus ihre Berechtigung“, warf Mrs. Howe ein.
In den letzten Wochen waren sich Melanie und Mrs. Howe über einige Dinge uneinig gewesen, die Melanie gern anders handhaben wollte als vorgegeben. Offenbar hatte die Verwalterin aber Zane Foley noch nichts davon erzählt; jedenfalls hatte er sich noch nicht bei Melanie gemeldet, um sie zurechtzuweisen oder sogar zu feuern.
„Stimmt“, sagte Melanie zu Mrs. Howe. „Zeitpläne haben wirklich ihre Berechtigung. Darum habe ich sie auch nicht völlig abgeschafft. Die Struktur tut Livie nämlich gut. Aber ich finde Spontaneität und Flexibilität auch sehr wichtig.“
Scott lachte leise. „Ohne Listen und Diagramme wäre Mrs. Howe aufgeschmissen“, warf er ein. „Du machst die arme Frau gerade vollkommen nervös, Melanie.“
Die Verwalterin machte eine abwehrende Handbewegung in seine Richtung. Dabei schien sie sich allerdings ein Lächeln zu verkneifen. In Melanies Augen war Scott für Mrs. Howe so etwas wie ein kleiner Bruder: Einerseits raubten sie sich manchmal gegenseitig den letzten Nerv, andererseits bestand zwischen ihnen eine gewisse Sympathie. Romantisches Interesse bestand dabei wohl nicht, denn Mrs. Howe war verheiratet und wohnte mit ihrem Mann ganz in der Nähe im eigenen Häuschen, und Scott hatte Melanie mal etwas von seiner festen Freundin erzählt.
„Ich bin gleich so weit!“, rief Livie ihnen gerade zu.
„Okay!“, riefen die drei Erwachsenen zurück.
Scott betrachtete den improvisierten Vorhang. Der Koch wirkte sehr nachdenklich.
Melanie beugte sich zu ihm. „Was ist denn los?“
Gerade wollte er antworten, da unterbrach er sich wieder und lächelte.
Melanie wartete einfach ab.
„Ich finde es schön, sie auch mal so zu erleben“, sagte er. „Keine Ahnung, wie du das angestellt hast, aber vorher hätte ich mir nicht vorstellen können, dass Livie irgendwann mal etwas vor uns aufführt.“
Melanie errötete. „Na ja, wir sind hier nicht im Stadttheater, sondern bloß in einem Kinderzimmer. Also ist das keine große Sache.“
„Doch“, warf Mrs. Howe ein, „auf jeden Fall.“
Verwundert sah Melanie die andere Frau an. Zum ersten Mal hatte sie den Eindruck, dass die Verwalterin ein bisschen aus sich herauskam.
Es war Melanie etwas unangenehm, dass ihre beiden Kollegen sie aufrichtig für das zu bewundern schienen, was sie bereits bei Livie
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