Der Minnesaenger
Aderlassen.
Hartmann ließ sich auf einem Schemel nieder, griff nach dem bereitstehenden Krug mit Beerenwein und leerte ihn in einem Zug. Weil er noch nichts gegessen hatte, stieg ihm der Alkohol sofort zu Kopfe und schenkte ihm etwas
Leichtigkeit, die ihm angesichts der jüngsten Entwicklungen in der Burg abhandengekommen war. Mit mittlerweile siebenundzwanzig Jahren war er in eine ausweglose Situation geraten.
Alles hing mit der Absage zusammen, die er dem Kaiser vor zwei Jahren erteilt hatte. Friedrich Barbarossa war sehr beleidigt gewesen und hatte verboten, Hartmanns Namen am Stauferhof auch nur noch einmal zu nennen. Seitdem machten auch die Reichsfürsten einen großen Bogen um ihn, weil sie den Kaiser nicht erzürnen wollten. So blieb Hartmann nichts anderes übrig, als in Freiburg zu bleiben, wo ihm keine Wertschätzung mehr entgegengebracht wurde.
Natürlich war ihm klar gewesen, dass sein letzter Auf tritt nicht ohne Folgen bleiben würde. Berthold V hatte ihm seine Kemenate weggenommen und ihn zurück ins Gesindehaus verbannt. Ein junger, talentloser Sänger ersetzte ihn auf Reisen. In politischen Fragen zog der Herzog einen Benediktinermönch zurate. Und zu den Festgesellschaften wurde Hartmann nur noch gebeten, wenn einer der Gäste seine Anwesenheit ausdrücklich wünschte. Er konnte von Glück reden, dass man ihn überhaupt noch auf der Burg duldete.
Warum er an jenem Abend die ausdrücklichen Anweisungen missachtet und so viel Arger in Kauf genommen hatte, konnte er nicht mehr genau sagen. Ein solches Verhalten widersprach eigentlich in jeder Hinsicht seinem Selbstverständnis als Dienstmann. Dennoch hatte er einfach das Gefühl gehabt, dass er es seinem verstorbenen Herrn schuldig gewesen war.
Wenigstens blieb ihm jetzt genügend Zeit, um sich neue
Lieder auszudenken. Weil er sie am Hofe nicht mehr vortragen durfte, sang er sie vor einem gemeinen Publikum. Zunächst hatte er daran gezweifelt, ob seine höfische Kunst ankommen würde, aber unzählige Auftritte hatten ihm gezeigt, dass das Bedürfnis nach Schönheit überall zu Hause war. Bei den Wirten sang er für eine Kanne Bier, beim Wochenmarkt für Kupfermünzen und bei dem Bader für ein paar Eimer mit heißem Wasser. Seine Bekanntheit öffnete ihm Türen und bewahrte ihn vor dem Konkurrenzkampf mit der fahrenden Gesellschaft. Die Bürger waren stolz auf den Dichter des Erec und bezeichneten ihn als Sohn der Stadt.
Er bettete die Harfe - das letzte Geschenk seines verstorbenen Herrn - auf seinen Schoß und drehte den Stimmwirbel so lange, bis der Klang der Saiten ihn zufriedenstellte. Mit den Jahren hatte er gelernt, die Zuhörer auf eine Reise zu schicken, die sie von ihren Alltagssorgen befreite. So begann er mit einem schwungvollen Rhythmus, leitete über zu nachdenklichen Tönen und endete schließlich mit sehnsüchtigen Strophen, die er erst gestern gedichtet hatte: »Wer so lebt, dass edle Frauen sein Glück bedeuten, / der möge sie rühmen / und sich ihnen dienstbar zeigen. / So lebe und rate ich, / in Aufrichtigkeit, wie es sich gehört. / Aber, das nützt mir alles nichts / bei einer, / um deren Huld ich ewig bettele. / Ihr habe ich mich ganz ergeben, / und sie wird immer Ziel meines Lebens sein... « 6
Nachdem er geendet hatte, setzte er die Harfe neben dem Schemel ab, griff nach dem neuen Krug und leerte ihn in einem Zug. Unterdessen kniete sich eine Bademagd zwischen seine Beine und schaute ihn an. Sie hatte braune
Haare und sinnliche Lippen. Die Träger ihres Hemdes waren über die Schultern gerutscht und entblößten ihre vollen Brüste. Ihr fraulicher Leib wirkte weich und einladend.
»Seit einem halben Jahr kommst du nun her«, sagte sie, »und du hast dich immer zurückgehalten. Gefällt dir keine von uns oder gibt es die Frau, von der du in deinen Liedern singst, wirklich?«
Mit den Fingerspitzen strich sie über die Innenseiten seiner Schenkel. »Mir macht es nichts aus, wenn du kein Geld hast. Ich mag dich auch so. Warum kommst du nicht am Sonntag vorbei und verbringst den Nachmittag mit mir? Ich wohne im Hinterhof.«
Die Frau strahlte eine Sinnlichkeit und Geborgenheit aus, nach der er sich schon lange sehnte. Es wäre so einfach gewesen, auf ihr Angebot einzugehen, aber er spürte deutlich, dass er dazu nicht imstande war. Seine Seele dürstete nach Nähe und trotzdem blieb er allein. Manchmal glaubte er fast, dass er den Schmerz suchte.
In diesem Moment rief ein Knecht, dass ein Badebottich frei wäre.
Weitere Kostenlose Bücher