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Der Minnesaenger

Titel: Der Minnesaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
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verschwamm alles. Vom Nebentisch griff er sich einen Schemel und setzte sich zu den Spießgesellen.
    »Man jagt seine Kumpane nicht einfach vom Hof. Die Prügel hast du dir selbst zuzuschreiben«, sagte Bengt. Sein rabenschwarzes Haar stand vom Kopf ab; die dichten Brauen wuchsen über dem Nasenrücken zusammen. »Bring ihm eine Schüssel mit Wasser und ein Tuch, damit er sich das Blut abwaschen kann.«
    »Los, Mädchen! Du hast ihn gehört«, sagte die Aderblaue. Sie führte das Bordell. Ihr Spitzname rührte von ihrer weißen Haut her, die so durchscheinend war, dass sich ein Netzwerk blauer Aderchen abzeichnete.
    Bengt schüttete Augusts Säckel auf dem Tisch aus.
    Die Hand der Aderblauen schnellte vor und fischte eine Silbermünze heraus. »Die ist für mich, weil ihr mir die Kundschaft vertrieben habt.« Einige Handwerker schlichen gerade aus dem Schankraum.
    »Mir soll’s recht sein«, sagte Bengt und türmte die Münzen zu drei Stapeln auf. Zwei schob er den Spießgesellen zu, einen behielt er für sich. »Mit dem Geld hast du deine Schuld beglichen, August, aber mach so was nie wieder.«
    Eines der Mädchen brachte eine Schüssel. Sie feuchtete das Tuch an und tupfte ganz vorsichtig das Blut rund um die Platzwunde ab. »Au!«, schrie August und schubste das Mädchen grob zur Seite. »Du ungeschicktes Ding! Gib das Tuch her, ich mach das selber.«
    »Wo hast du die ganze Zeit gesteckt?«, fragte Bengt.

    August wusste nur zu gut, dass seine Kumpane unberechenbar waren. Geheimnisse nutzten sie gnadenlos aus, um sich Vorteile zu verschaffen. Er konnte ihnen unmöglich die Wahrheit erzählen. Überhaupt durfte er niemandem gestehen, dass er den Pfaffen getötet hatte. Der freie Bauer langte nach einem Becher Beerenwein und leerte ihn in einem Zug. »Ich hab mir ein Weib ausgesucht!«
    »Du hast geheiratet und uns nicht zum Fest eingeladen?«
    »Sperr gefälligst deine Ohren auf, wenn ich was sage. Ich hab sie mir nur ausgesucht! Niemand weiß davon.«
    »Das kannst du deinem Beichtvater erzählen!«
    »Ihre Eltern sind gottesfürchtig. Sie ist anders als die Weiber hier.«
    »Na, wenn sie wirklich so ein Leckerbissen ist, solltest du mich als Zeugen für die Brautnacht benennen.«
    »Wenn ihre Eltern meinem Werben stattgeben, bin ich einverstanden.«
    »Wie heißt das Täubchen denn? Ab heute will ich sie in meine Gebete einschließen.«
    »Judith!«
    »Judith! Judith!«, rief Bengt mehrmals und auch die anderen fielen in das Gejohle ein und hämmerten mit den Fäusten so heftig aufs Holz, dass ein Tischbein einknickte. Die abgenagte Hammelkeule rutschte von der Bratenplatte und schlug zusammen mit dem Tonkrug und den Bechern auf dem Boden auf.
    Augusts Mund verzog sich zu einem Grinsen. Eines musste man diesen Hurensöhnen lassen: Alles, was sie anpackten, zerbrach am Ende in tausend Stücke.

3.
    Zwar war es mollig warm im Haus, aber durch das dauernde Ofenfeuer entwickelte sich viel Rauch, der durch die kleine Dachöffnung nie vollständig abzog. SeitWochen litt Judith unter tränenden Augen und einem scheppernden Husten, der sich nicht lösen wollte.
    »Dein Vater ist auf dem Markt«, sagte Mechthild und rührte in dem Kessel. »Ich koche uns eine Suppe und du gehst gefälligst zum Bach, um Wasser zu schöpfen. Ich verstehe überhaupt nicht, warum du dich so anstellst.«
    Judith konnte ihr unmöglich sagen, dass sie sich davor fürchtete, dem Schäfer zu begegnen. Ihre Mutter würde so lange bohren, bis sie die Ursache ihrer Angst ergründet hätte - und sie könnte nichts weiter anführen als einen Blick, der ihr einen Schrecken eingejagt hatte. Unter keinen Umständen wollte sie den Schäfer zu Unrecht verdächtigen und seinen Ruf ruinieren. Wahrscheinlich war ihre Sorge sowieso unbegründet. »Also gut«, sagte sie. »Dann gehe ich eben.«
    Sie wickelte sich mehrere Wollschals um den Kopf und trat nach draußen. Nach einigen Tagen Tauwetter waren die Temperaturen wieder gefallen. Die Kälte schnitt ihr ins Gesicht und drang durch den Umhang. Das Haus des Schäfers lag stromabwärts. Schwarzer Rauch drang aus der Dachöffnung. Vermutlich hockte er im warmen Wohnraum und vertrieb sich die Zeit mit seiner Familie.
    Sie sollte ihr Augenmerk besser auf die tatsächlichen Gefahren richten. Mehrere Wölfe hatten ihre Spuren im Neuschnee hinterlassen. Die Tiere näherten sich den Dörfern nur, wenn sie im Wald nicht genügend Kleintiere fanden
und ausgehungert waren. Zwar galten ihre Angriffe in erster Linie dem

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