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Der Minnesaenger

Titel: Der Minnesaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
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Weißt du, was die Kinder singen, wenn wir nach einem Auftritt ein Dorf verlassen: ›Spielmann kümmert sich nicht um Haushalt, / Spielmann schafft sich kein Heim, / Spielmann hat kein Feuer im Herd, / denn Spielmann ist ganz allein.‹ Da steckt mehr als ein Fünkchen Wahrheit drin, verstehst du?«
    »Wenn ich lache, bekomme ich zehn Schläge mit dem Rohrstock! Das ist auch kein Zuckerschlecken!«
    »Du solltest das Leben der Spielleute nicht unterschätzen. Ein guter Freund von mir wurde aufgeknüpft, weil ein Hagelschauer die Ernte vernichtet hatte. Die Bauern behaupteten, dass seine Lasterhaftigkeit Gott erzürnt hätte und dass er nur seine gerechte Strafe bekommen hätte. Der Bischof erteilte ihnen auch gleich die Absolution. Ich könnte dir noch unzählige solcher Geschichten erzählen!«
    »Das ist schlimm, aber hier kann ich nicht bleiben.« »Musst du ja nicht. Es gibt noch andere Möglichkeiten. Mit deiner Bildung solltest du in den Hofdienst eintreten. Die Ministerialen werden nur zu vornehmen Diensten herangezogen: zum Kriegsdienst als Panzerreiter, als Truchsess, Kämmerer, Marschall oder Schenke. Ihr Ansehen ist groß.«
    »Ich will aber kein Ministeriale werden! Ich möchte singen und die Harfe spielen so wie du.«
    »Aber das kannst du doch! Im Winter brauchen die Fürsten Zerstreuung. Überall im Land gibt es Dienstmänner, die ihren Herren mit Musik die dunklen Tage versüßen.«
    »Ist das wahr?«
    Das Gespräch ging noch eine Weile hin und her, bis sich
beide wieder der Musik zuwandten. Unablässig löcherte der Knabe Blixa mit Fragen nach Liedtexten, Melodien und Fingerübungen. Die Kirchenglocken läuteten zur Non, dann zur Vesper. Die Schatten wurden immer länger, bis die Sonne hinter dem Bergrücken versank.
    »Mein fleißiger Freund«, sagte Blixa, »ich muss dir noch etwas sagen.«
    »Noch ein Lied!«, bettelte Hartmann.
    »Nein! Hör mir jetzt zu, das ist wichtig! Morgen früh hinterlege ich die Harfe bei dem Bauern Wolfgart. Dort kannst du sie jeden Sonntag abholen und auf ihr spielen.«
    »Wieso willst du die Harfe hierlassen? Hast du ein neues Instrument?«
    »Nein, ich brauche sie nicht mehr. Ich bin alt und meine Finger werden immer steifer.«
    »Das verstehe ich nicht!«, sagte Hartmann und bekam plötzlich ein mulmiges Gefühl. Worauf lief dieses Gespräch hinaus? Was wollte der Freund ihm sagen?
    »Unsereiner muss nehmen, was er bekommen kann«, sagte Blixa. »Und ich hatte großes Glück. Eine sehr liebe Witwe hat mir ein Stück Land überschrieben. Auf ihm kann ich mich zur Ruhe setzen und Gerste anbauen. Hier, unter meinem Wams, steckt die Urkunde. Ich bin nur gekommen, um dir Lebewohl zu sagen.«
    »Soll das etwa heißen, dass wir uns nicht wiedersehen?«
    »Nicht unter den Lebenden, mein Freund. Im himmlischen Jerusalem können wir dann um die Gunst der Damen wettstreiten.«
    Hartmann war aufgestanden und starrte entsetzt auf den Harfner hinab. Blixa war der einzige Mensch, mit dem er seine Leidenschaft teilen konnte. Wenn der Spielmann
nicht mehr käme, würde er nicht nur einen wichtigen Menschen verlieren, sondern er wäre bis zum Ende seiner Ausbildung nur noch von Duckmäusern umgeben. Es gäbe nichts mehr, worauf er sich freuen könnte, nichts mehr, was ihm Mut machen würde. »Ich dachte, dass wir Freunde sind!«
    »Eben deshalb habe ich die weite Reise auf mich genommen. Über zwei Wochen bin ich hergeritten, um dir die Harfe zu schenken.«
    »Das kannst du nicht machen! Du kannst mich nicht einfach alleine lassen.«
    Blixa blieb sehr ruhig und zeigte viel Verständnis. Auch sagte er etliche weise und tröstende Dinge. Hartmann vernahm die Ratschläge, aber er begriff ihren Sinn nicht. Er fühlte sich verlassen und unendlich schwer. Seine Kehle war zugeschnürt. Als sie sich kurz vor der Abtei trennten, brachte er kaum ein »Lebewohl« heraus.

Im Jahre des Herrn 1174

1.
    Im Januar des folgenden Jahres war es sehr kalt. Judith musste ein Loch in die Eisdecke schlagen, um Trinkwasser aus dem Bach zu schöpfen. Sie holte gerade mit dem Beil aus, als lautes Wehgeschrei einsetzte. Ein einziger Blick genügte ihr, um zu erfassen, was passiert war. Ein Kind war eingebrochen und von der Strömung mitgerissen worden. Sofort rannte sie zur Unglücksstelle, um ihre Hilfe anzubieten.
    Die Schäferin raufte sich das Haar und stimmte ein schrilles Wehgeschrei an. Ihr Ehemann kroch auf allen vieren über die spiegelglatte Eisfläche und starrte seinen Sohn an, der nur wenige

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