Der Minnesaenger
ausgedacht, aber sie haben mich nicht gelassen. Als der Abt erfuhr, dass ich auf einer Harfe geübt hatte, ließ er mich so fürchterlich geißeln, dass ich drei Monate im Spital liegen musste. Ich kann von Glück reden, dass ich noch lebe.«
»Das ist ja fürchterlich!«
»Ja, aber was ist denn los?«
»Ich bin verheiratet!«
»Was? Wie-so...«, stotterte Hartmann.
»Ja, ich bin verheiratet!«
Hartmann hatte noch nie über die Ehe nachgedacht. Er wusste nur, dass er gerne mit einer Frau zusammen wäre und diese Frau war in seinen Gedanken immer Judith gewesen. Wenn er sich eine Melodie ausdachte, sah er sie vor sich. Wenn er einen erotischen Traum hatte, so war sie es, die er küsste, die er streichelte und an die er sich drängte. Dass sie nun das Weib eines anderen war, dass sie nun mit diesem Mann all die Dinge tat, die er so gerne mit ihr ausprobiert hätte, hob seine kleine Welt aus den Angeln.
»Nun sag doch was!«, bat Judith.
Hartmann zuckte nur mit den Achseln.
»Mir blieb keine Wahl, das musst du mir glauben. Ich wäre viel lieber deine...« Sie konnte nicht weiterreden.
Hartmann konnte ihre Verzweiflung nicht nur sehen, sondern auch spüren. Er begriff, dass er sich bei der letzten Begegnung nicht in ihr getäuscht hatte. Sie hatte sich genauso zu ihm hingezogen gefühlt wie er sich zu ihr. »Was sollen wir denn jetzt machen?«
In diesem Moment ertönte eine rostige Kommandostimme: »He, aus dem Weg da!« Ein Ochsenkarren polterte heran, und Hartmann und Judith sprangen zur Seite, um nicht überfahren zu werden. Die junge Frau rutschte auf einem Kohlblatt aus und der Jüngling griff ihr unter den Arm, damit sie nicht stürzte. Auge in Auge standen sie sich gegenüber, bis Judith ihr Gesicht an seine Schulter legte. Unsicher streckte er die Hand aus und strich über ihren Rücken. Unter seinen Fingerspitzen spürte er ihren Leib. Über seinen Hals strich ihr lebendiger Atem und an seiner Brust spürte er ihre Wärme. Ihre Nähe fühlte sich so gut an! Wie oft hatte er davon geträumt, sie so in seinen
Armen zu halten! Als er spürte, wie sie ihre Hand um seine Taille legte und seine Berührungen ganz zart erwiderte, durchströmte ihn ein solches Glücksgefühl, wie er es noch nie zuvor erlebt hatte. Es gab weder die Vergangenheit noch die Zukunft, es gab nur sie beide und ihr überwältigendes Gefühl füreinander.
Sie waren so weit entrückt, dass sie den Mann mit dem rabenschwarzen Haar nicht kommen sahen. Breitbeinig baute er sich vor ihnen auf und stemmte die Hände in die Hüften. »Na, wen haben wir denn da? Grüß dich, Judith! Lange nicht mehr gesehen!«
Die junge Frau löste sich aus der Umarmung und wischte sich die Tränen aus den Augen. »Das ist Bengt«, sagte sie. »Ein Verwandter von August.«
»Ganz recht!«, sagte der grinsend. »Wie gut, dass ich gerade in der Nähe war. August wird sich bestimmt freuen, wenn er erfährt, dass seine Ehefrau bei der Erledigung ihrer Einkäufe von einem Begleiter beschützt wird.«
Judith blickte zu Hartmann, dann zu Bengt. »Er ist nur ein Spielgefährte aus Kindertagen!«
»Ja, ja, natürlich«, sagte Bengt. »Ein Spielgefährte aus Kindertagen wäre ich auch gerne mal.«
Zweiter Teil:
am herzoglichen hof
Im Jahre des Herrn 1176
1.
Im Februar des folgenden Jahres arbeitete Hartmann als Gehilfe in der herzoglichen Kanzlei. Um den Frost draußen zu halten, hingen mehrere Bärenfelle vor den Fensternischen. Im unruhigen Licht einer Talgkerze lehnte er am Stehpult und kniff die Augen zusammen. Es bereitete ihm große Mühe, dem Griffel eine klare Linienführung abzuringen, weil seine Muskeln von den täglichen Schwertübungen schmerzten. Um kostbares Pergament zu sparen, bildete er den Text zuerst auf einer Wachstafel ab:
» Notum sit omnibus tam presentibus quam futuris quod... Kundgetan sei allen, den gegenwärtig wie den zukünftig Lebenden, dass der Herr Herzog Berthold eine Stadt erbaut hat, welche Freiburg genannt wird, deren eines Viertel auf dem Grund und Boden der heiligen Maria von Peterlingen gelegen ist...« Auch die neue Stadt im Üchtland an der Saane sollte den Namen Freiburg tragen. Obwohl der Bau erst im Sommer beginnen würde, sollte die Gründungserklärung schon jetzt vorbereitet werden.
Hartmann befand den Wortlaut für stimmig, erhob sich vom Schemel und ging über die Steinplatten zum Archivkasten, wo die Urkunden aufbewahrt wurden. ZweiTragringe an den Schmalseiten gewährleisteten, dass er bei
Gefahr sofort
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