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Der Minnesaenger

Titel: Der Minnesaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
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diesem Moment bohrte sich ein Pfeil in Leutfrieds Brust. Kurz sah der treue Knecht zu seinem Herrn hinüber, als erwarte er einen Befehl, wie er auf diese unerwartete Entwicklung reagieren sollte. Dann erschlaffte sein Leib und rutschte aus dem Sattel.
    Dankwart sprang blitzschnell von seinem Schlachtross, fing Leutfried auf und schleifte ihn in den Schutz der Bäume. Seltsamerweise folgte kein weiterer Beschuss. Der reiterlose Hengst wieherte mehrmals und stellte sich auf die Hinterläufe. Für das Tier bestand keine Gefahr, weil es einen beträchtlichen Wert besaß. Als sich der Rappe beruhigt hatte, folgte er seinem Herrn ins Unterholz.
    Dankwart bettete den Oberkörper des Knechts sehr vorsichtig auf seinen Schoß, um nicht gegen den Pfeil zu stoßen und so die Wunde noch zu vergrößern. Er hatte Krieger jeden Alters sterben sehen und wusste, dass bei einem so alten Mann die Seele die irdische Hülle leichter verließ, weil sich der Kampf zwischen Engeln und Dämonen schon entschieden hatte. Leutfrieds Gesicht verlor schnell an Farbe, seine Haut wurde wächsern, die Brust hob und senkte sich nur noch unregelmäßig. Diese körperlichen Erscheinungen zeigten deutlich an, dass sich der Übergang bereits vollzog. Dankwart war in diesen Dingen viel zu erfahren, um sich Illusionen hinzugeben. »Hab keine Furcht, mein Freund«, sagte er. »Bald sitzt du bei meinem Vater, deinem alten Herrn. Auch meine Töchter, die du aufwachsen sahst, bitten dich an die Tafel.
Mit ihnen teilst du Speis und Trank als Gleicher unter Gleichen...«
    »Herr!« flüsterte Leutfried. »Ich sehe...« Seine Lider flatterten wie die Flügel eines Schmetterlings, seine Finger klammerten sich an den Arm seines Herrn, dann brach der Glanz seiner Augen.
    »Du siehst jetzt ein anderes Licht«, vollendete Dankwart den Satz. Vorsichtig strich er dem Knecht über die Stirn und schloss ihm die Lider. Als er den Leichnam behutsam auf den Waldboden bettete, überkam ihn das Gefühl, dass sich seine Vorahnung erfüllte. Auch Leutfried musste geahnt haben, was ihn erwartete. Ansonsten hätte er nicht darauf bestanden, ihn an diesem Tag zu begleiten.
    Dankwart vergegenwärtigte sich seine Situation. Offenbar waren sie in einen Hinterhalt geraten. Die Wegelagerer hatten es vermutlich auf ihre Waffen und Pferde abgesehen. Dankwart benötigte nur die Dauer von wenigen Herzschlägen, um eine Entscheidung zu fällen. Er würde diesen Ort nicht verlassen, bis er Leutfrieds Tod gerächt hätte. In seinen Augen gab es nur einen Weg, um mit solchem Gesindel umzuspringen. Mit wenigen Handgriffen sortierte er seine Waffen und spürte, wie ihn eine kalte Wut anfiel. »Einen Greis könnt ihr töten«, schrie er, »aber mit mir habt ihr nicht so ein leichtes Spiel! Ihr könnt es euch aussuchen: Entweder jage ich euch durchs Unterholz oder ihr tretet heraus und wir kämpfen wie Männer.«
    Eine Zeit lang geschah nichts, und Dankwart spähte schon nach einer Stelle aus, um den Handelsweg zu überqueren. Dann raschelte Blattwerk und mehrere Äste knackten. Tatsächlich traten drei Gestalten auf den Weg. Sie alle trugen lederne Wämser und hielten ihre Schwerter
und Dolche gezückt. Der mittelgroße Mann mit dem Rabenhaar kam Dankwart bekannt vor, allerdings konnte er sich nicht erinnern, wo er ihn schon einmal gesehen hatte. Dankwart erhob sich aus der Deckung des Baumes. Er hatte keine Ahnung, wie der Kampf enden würde, aber er fühlte deutlich, dass ihn sein langes und erfülltes Leben auf alles vorbereitet hatte.

6.
    Je näher die zähringische Gesandtschaft der Küste kam, desto salziger schmeckte die Luft. Die scharfen Seewinde fegten über das platte Land und ließen die Bäume schief aus dem Boden wachsen. Jeder Busch, jede Bodenwelle und jede Strohkate war meilenweit im Voraus sichtbar.
    Obwohl Hartmann angestrengt nachdachte, war ihm noch keine Verhandlungsstrategie eingefallen. Er drehte den Kopf und sagte: »Wir müssen halten!«
    »Was soll das bedeuten?«, fragte der Marschall. »Wir können Philipps Burg noch vor Einbruch der Dämmerung erreichen.«
    »Eben deshalb!«, sagte Hartmann und sprang vom Pferd. »Burkhard, lass uns ein Stück am Ufer entlanggehen.«
    Die beiden Freunde gingen über nasses Laub auf eine Biegung zu, wo der Fluss Sand angeschwemmt hatte. An der Wasserkante lagen Algen, Stöcke und ein Barsch mit aufgequollenem Bauch. Hartmann hoffte, in einiger Entfernung von den Soldaten und in Gesellschaft seines Freundes seine Gedanken sortieren

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