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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Sobota
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mir«, sagt sie. Ich höre sie, aber es bleibt außen. Für sie ist diese Liebe Aufgabe: meine Befreiung. In ein anderes Leben gehen, mit mir.
    Ich bleibe im Kreis, bin blockiert, der Ekel frißt weiter. Nichts, nichts ist verändert.
    Sie hat eine Sommerwohnung am Berg, leuchtend grüne Matten, windgebeugte Bäume. Unten die Stadt, spielzeughaft. Fingerlange Züge und nadelkopf große Autos, Ameisengekrabbel, die Menschen auf den Straßen. Dunst schieiert aus der Steinwüste zu den Wiesen.
    Maschen eines Kleides legen Fesseln. Stella wickelt ein Haar um meinen Schwanz.
    »Ich zaubere«, sagt sie und beschwört dumpf murmelnd.
    »Mach dich, mach uns frei«, sagt sie. Die Härte befreit sich in ihr. Bricht die Sonne oder verglüht nur ein einziger Strahl. Zum erstenmal erschöpft sich meine Erregung.
    »Du, du bist mein Mann«, sagt sie, in den erstorbenen Rausch.
    Ich steige ins Auto. Sie winkt, und ich fahre in den Dunst, zu den Ameisen.
    »Was hat dich verändert?« fragt Mutter. Ich erwarte die Frage seit Tagen von ihr.
    »Eine Frau«, sage ich.
    »Liebst du sie?« fragt sie und schaut auf das Bild meines Vaters hoch im Mauerwerk zwischen den Blumen, die sie alle zwei Tage erneuert.
    »Nein«, sage ich endgültig.
    Cha-cha lebt glücklich neben mir. Ich bin nicht brutal, nicht betrunken, das andere wühlt und frißt in mir.
    »Er will allein sein, will nachdenken. Vielleicht ist es wieder das Gefängnis?« sagt sie zu Mutter. Die gibt keine Antwort. Manchmal sitzt sie neben mir.
    »Du machst dich kaputt. Wenn du alles genau überlegt hast, dann – geh zu ihr«, sagt sie, und ich sehe, wie schwer es ihr fällt, gegen ihre Grundsätze zu sprechen.
    Am anderen Tag sitze ich beim Schreibtisch in der Firma. Warenlisten liegen da und Produktionstabellen. Hinter meinem Rücken kichern Weiber. Die Hitze tappt klebrig durch die niedrigen Fenster. Ich lege einen Stift auf die Plastikunterlage. Es ist acht Minuten nach vier Uhr, und ich könnte jetzt aufstehen, mich umziehen, ins Auto steigen, an die Donau fahren, ein Bier trinken. Cha-cha hat drei Kunden, und ich kann sie erst gegen neun Uhr abholen. Ich greife zum Telefon, wähle.
    »Kommst du?« fragt Stella mit atemlosem Du.
    »Nein, ich habe noch zu tun«, sage ich und lüge. Ich habe nichts zu tun. Sie wartet und sie wartet.
    »Bitte komm«, sagt sie und weiß nichts davon. Sie kann es nicht wissen. Ich weiß es selbst erst seit einer Stunde. Klar und deutlich, einfach, durchsichtig wie poliertes Glas. Ich schlucke, hole die Stimme aus dem Weiher.
    »Morgen, morgen komme ich«, sage ich langsam, und sie sagt noch einiges, hastend, aber ich lege auf.
    Vor vier Wochen mit den Tabletten ist es schiefgegangen, heute wird es klappen. Ich gehe über den schwarzen Bitumenboden in die Warenhalle, versperre zwei Türen, dann lösche ich hinter mir das Licht. Am Schreibtisch klappe ich die Mappe zu und werfe einen Blick auf den Kalender. Pankreatanmasse trifft morgen ein … morgen? Ich gehe in die Garderobe. Der Raum ist muffig und leer. Ich hänge den blauen Arbeitsmantel in den Kasten. Eine Spinne kriecht am Nebenspind, im ersten Stock fällt irgendwo eine Tür ins Schloß. Trappeln im Stiegenhaus. Ein Mädchen steht am Eingang, lacht pummelig und unfrei. Sie ist Sekretärin in der Firma und liebt mich, ermüdend und unschuldig.
    »Ich bin fertig, kann ich mitkommen«, sagt sie und steht da.
    »Nein, ich habe noch zu tun«, sage ich und schiebe ihre harmlose Rundlichkeit zur Seite.
    »Aber du hast doch gesagt …?« sagt sie unsicher fragend.
    »Ich habe den Anruf eben erst bekommen. Also verschwinde!« sage ich.
    Sie geht. Ich hocke im Auto, eingekeilt in einer Kolonne am Franz-Josephs-Kai, zwanzig, dreißig Minuten. Beim Schwedenplatz dröhnt mir der Kopf. Ich stelle das Auto ins Halteverbot und gehe ins ›Schwedenespresso‹. Ein Gong hinter der Stirn reflektiert die Musik aus der Box, Lachen vom Nebentisch, und ich habe Angst. Knete die Zigarette zwischen den Fingern, dann wische ich die Hände in ein Taschentuch. Oft. Das Serviermädchen hat eine Laufmasche am rechten Strumpf, deutlich und schmerzhaft. Der Kaffee schmeckt nach Seife. Dann trinke ich ein Bier, aber die Lauge bleibt im Mund.
    Soll ich nachdenken, kontrollieren, den Druck anfangen, zu leben anfangen, aufhören, mir leid zu tun … alles sehr anstrengend. Ich laß es laufen. Scheiß auf die Weiber, steck ihnen den Schwanz in die Schnauze, nimm ihnen das Geld weg und denk nicht über Dinge nach, welche dir

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