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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Sobota
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eben immer fremd bleiben. So ist es einfach, und dann, wer scheißt sich drum, wer?
    Sieben Uhr. Feuchte, junge Gesichter um mich, feuchte, eifrige Hände streicheln über Wangen. Drei, vier ganz junge Pärchen. Später stecken sie die feuchten Finger dann in erwartungsvoll nässende Spalten, na und? Nichts, geht mich auch nichts an.
    Ich bezahle und fahre zum Treffpunkt mit Cha-cha. Das Organmandat werfe ich in den Rinnstein. Sie kommt eine halbe Stunde früher, kühl und glatt.
    Die ideale Hure, sieht nach dem fünften Rammstoß frisch und distanziert wie die englische Königin bei der Krönung aus. Dann steigen wir ins Auto; sie massiert meine Haut in der Hose.
    Dann beugt sie sich darüber, rutscht mit den Fingern zu den Eiern. Ausfahrt Mödling, steht auf dem Schild auf der Autobahn. Ich schließe für einen Moment die Augen und spritze ihr in den Mund. Sie schluckt und schluckt, dann stößt es ihr auf, sie küßt mich gegen den Hals. Es nieselt plötzlich, und ich fahre schneller.
    Meine Hände sind nicht mehr trocken. Ich habe Angst, dann ist Wiener Neustadt da, und der Verkehr lenkt mich ab. Neun Kilometer noch, neun lächerliche Kilometer. Ich halte in Sauerbrunn vor dem Haus. Cha-cha steigt aus. Sie steht neben der Gartentür und wartet.
    »Sag Mutter, ich komme später«, sage ich. Und wende mich von ihrem enttäuschten Gesicht weg. Ich fahre in den Ort, geh’ in ein Kaffeehaus, spiele eine Partie Schach. Rede mit dem Chef über ein Wochenende am Neusiedlersee, und dann ist es zwölf Uhr. Leute gehen nach Hause, nach einer Weile ich auch. Ich fahre die schmale Straße vom Hauptplatz weg durch den ersten Bahnviadukt. Rechts, ein schwarzes Schild, der alte Kurpark. Weißblaue Lampen entlang der Fahrbahn glänzen widerspiegelnd am Armaturenbrett. Ohne hinzusehen, streife ich die Asche von der Zigarette. Ich drehe den zweiten Gang hoch, helleres Dröhnen, verflacht nach dem Schalten. Es ist halb ein Uhr nachts. Ich will nichts mehr entgegensetzen, will feige sein. Mein Atem ist ruhig und gleichmäßig, meine Hände triefen. Ich drehe mit der linken Hand leicht am Lenkrad, der Wagen rollt durch den zweiten Viadukt, die Kurve danach. Rechts eine lange Reihe Bäume. Das Scheinwerferlicht zerrt die Stämme aus dem Rand. Mein rechter Fuß drückt das Gaspedal nieder, noch zweihundert Meter, dann werde ich tot sein.
    Erinnerungen, Satzfetzen und ein Gesicht, dann kneife ich die Augen zu. Die Straße, aus der Dunkelheit entgegenrasend, ist wässerig, fahlfarbig. Ein Lichtschleier wischt durch das Auto. Der Zeiger der Tachonadel steht auf neunzig Kilometer, die Straße biegt nach links. Der Baum ist schwarz und wie ein Magnet, und die Rinde ist rissig … Ein greller Knall, Messer schneiden in mich.
     
    Der bleiche Schacht mündet in warmes Licht. Das Licht zerfällt in Segmente. Sie treiben mir Nägel in die Knochen, hängen Metallscheiben daran, jede zu einem Kilo. Transfusionen und mein genähtes Gesicht, das gebrochene Becken und das zertrümmerte Hüftgelenk. Der eingedrückte Brustkorb und mein Erstaunen über all das. Junge Gesichter unter weißen Hauben und Lächeln. Cha-cha sitzt neben meinem Bett.
    »Wie konnte das passieren?« fragt sie immer wieder.
    Wozu? Wozu reden, wenn ich wieder nicht imstande war, es endgültig zu tun, wozu dann unter die anderen streuen?
    »Ich bin wahrscheinlich eingeschlafen«, sage ich leise, weil ich noch nicht lauter reden kann.
    Im Schacht war ich befriedigt gewesen, und jetzt, werde ich verkrüppelt sein? Stella kommt, ist ängstlich und streichelt über mein nacktes Bein. Unsicher wandern ihre Augen zur Tür, zur Uhr.
    Die Nächte sind freundlich, die Schnapsflasche unter dem Bett, die Zigarette. Ich blase den Rauch in die Schlitze der Klimaanlage und greife in einer Schwesternschülerin herum.
    Der Tag schaufelt Licht und Hitze. Stella schreibt täglich, ›du mußt nun wissen, wo du hingehörst … wir sind es, wir beide … du mußt dich entscheiden … ich warte, du weißt, wie sehr ich warte‹, so schreibt sie, und ich bin voller Unsicherheit, wie wird es mit dem Gehen, ist meine Hüfte kaputt, was will Stella von mir, warum soll, muß ich mich jetzt entscheiden?
    Cha-cha bringt Wodka und Rotwein, und ich bin betrunken und verzagt. Stella ist es auch.
    »Du antwortest mir auf keinen Brief«, sagt sie, und ihre Augen brennen an meinem Körper entlang.
    Ich besaufe mich, steige aus dem Gerüst, belaste meine Knochen -vier Wochen ist es her. Ich gehe drei Schritte,

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