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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Sobota
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ihr.
    »Jetzt steht sie bei mir, und ich bin noch nicht zu Ende«, sage ich. Inmitten seines Lachens sind breite, gelbe Zähne.
    »Komm her, Mädchen, scheiß auf ihn«, brüllt er.
    »Das solltest du nicht sagen«, die volle Bierflasche trifft ihn gegen die Schläfe. Er klappt sofort vornüber.
    »Rufe ein Taxi und spritze ihm Sodawasser ins Gesicht«, sage ich zu ihr, dann gehe ich.
    Zwei Tage später komme ich auf der Hernalser Hauptstraße aus einem Lokal. Ich stehe auf der Nebenfahrbahn. Eine Ampel blinkt gelb. Ein Auto hält. Schüsse peitschen. Ich spüre den Schlag gegen das Bein, den Arm, werfe mich hinter einen der Alleebäume. Das Auto rast davon.
    Ich ziehe mich am Baum hoch. Später fährt ein Taxi vorüber. Ich halte es an.
    »Auf eine Unfallstation«, sage ich. Der Fahrer stellt keine Fragen. Warm und wie Kleister fühlt sich die Feuchtigkeit an. Am Bein, am Arm.
    »Oberschenkeldurchschuß und Oberarmsteckschuß«, sagt der Arzt im Spital.
    Sie entfernen mir die Kugel aus dem Arm und stecken eine Sonde ins Bein. Dann kippe ich weg.
    »Wer war es?« fragt ein Mann in Zivil und, »Kriminalpolizei«, sagt er.
    Ich drehe den Kopf weg. Dann unterschreibe ich einen Revers und lasse mir wieder ein Taxi rufen. Cha-cha zittert und kann nicht verstehen.
    »Das heilt schon wieder«, sage ich und drehe mich zur Wand. Am Morgen kommen wieder Kriminalbeamte.
    »Also, wie war das?« fragt der eine. Ich gebe keine Antwort und sie gehen.
     
    Drei Monate bleibt das Bein gelähmt. Cha-cha verdient, und ich humple durch die Gegend. Dann suche ich mir einen Job bei einer pharmazeutischen Fabrik und arbeite.
     
    Es ist nicht viel. Der Tag hält den Atem an, lackiert die Nägel blau. Grünes, schräg reflektiertes Licht, intensiv, aus Katzenaugen. Sekunden knistern. Normloses, nervöses Gesicht. Augen greifen mich an. Breite Lippen darunter, blaßrosa Gewißheiten. Sie, lebendig, fremd, vertraut, schillernd, vielfarbig. Ich schiebe Tinkturen zur Seite und den Spießbürger. Sie riecht wie früher Flieder und sonnenwarmes Gras.
    Sie redet, lacht. Sie, Stella. Herztropfen und Asthmatabletten, Hustensirup und Ampullen, Zäpfchen und Schlackenresorber in einer Schachtel am grünen Metallpult. Ich trage sie nebenher zu ihrem Auto. Unmerklicher Lichtwechsel an mattgrünen Irisrändern.
    »Danke«, sagt sie, forsch und kalt.
    »Bitte«, sage ich und schaue auf schmale Beine in hohen, schwarzen Stiefeln. »Auf Wiedersehen«, sagt sie. Das Auto rollt weg. Grauer Schneematsch spritzt gegen den Gehsteig. Ich gehe in das muffige Erdgeschoß zurück. Der Alltag erstickt die Fragen. Selten kommt sie, wenn, dann zaudern Minuten.
    In der Werkskantine schnappe ich Worte auf. Sie, Stella, ist vierzig, lebt allein. Selten spricht sie mich an. Worte fallen zu Boden, darüber greifen Blicke.
    »Können Sie einen Kurzschluß reparieren?« fragt sie. Einen solchen – möglich. »Ja«, sage ich. Schnee zerrinnt auf meinem Gesicht. Sie sagt mir die Adresse und Telefonnummer. Ich weiß längst beides. Mit dem Handrücken wische ich mir das Wasser vom Gesicht.
    Cha-cha kommt später, bringt Geld und Gewohntes.
    Zwei Tage danach rufe ich abends Stella an.
    »Kommen Sie?« fragt sie rasch, undeutlich.
    »Ja, in etwa fünf Minuten«, sage ich, stehe in der Kneipe neben ihrem Wohnhaus und lege den Hörer auf.
    Was ist? Sie will schlafen mit mir, ich will es auch – Alltägliches. Stella läßt mich ein, nimmt meinen Mantel. Dann sitzen wir einander gegenüber.
    Gelbes Licht fließt um ihre Schultern, der Wein ist blutig in den Gläsern.
    Schmalgliedrige Finger spielen mit Ringen, einem Wachsapfel.
    Warum rede ich vom Gefängnis, der verschlossenen Zeit. Fingerspitzen tasten über meinen Handrücken, und nichts ist mehr alltäglich. Nichts fordert die Pose, das Mißtrauen. Ich steige aus den Blöcken. Zärtlichkeit rieselt heiß und schwer in die Hände. Zeit verschwindet, dann sind unsere Lippen fremde, weiche, geteilte Gebilde, vertraut und in sich. Sie wandern aneinander, feuchten ineinander, greifen und halten, saugen und streicheln im Hauch zeratmeter Worte. Später zerbricht ihr Davor in wildem Schluchzen an meiner Haut.
    »Du bist mein Mann«, sagt sie und ist Kind in aufgebrochener Angst.
    Ich bin nicht dein Mann. Ich verstehe auch dein Reden nicht. Was ist damit gemeint? Ich lieg’ da und halte dich fest. Was soll ich mit den Tränen. Ich kann sie nicht deuten. Ich habe auch keine Sicherheit – und –, deine Sprache ist mir fremd: verstehe

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