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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Sobota
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setzt sich neben mich, »die Musik, die Menschen, jeder ist für sich und ist sich genug, die Mädchen, manche wie Kinder. Du weißt, was ich meine?«
    Er zieht das Gesicht in ein schiefes Grinsen. Er klopft nervös mit der Zigarette an den Tischrand. Mit dem Schuh verreibt er die Asche am Boden. Immer wieder flackern seine Augen zu dem Kind. Sie sitzt am Barhocker. Der enge Pulli über kleine, spitze Brüste gezogen, schmale, kaum modellierte Mädchenbeine, Kniestrümpfe und ein kurzer Faltenrock. Der Glatzköpfige atmet schwer.
    »Komm ins Büro«, sage ich und stehe auf. Links vom langen Hauptraum zweigt ein Gang ab. Linker Hand ist das Zimmer mit der elektronischen Ausrüstung, daneben ein Raum mit Spielautomaten. Rechter Hand ist das Büro. Ich schalte das Licht ein und stelle mein Glas auf den Schreibtisch. Franz setzt sich auf den Stuhl davor und legt ein Bein über das andere. Ich lege die Füße auf den Schreibtisch und zünde mir eine Zigarette an. Dann, nach einer Weile des Schweigens, springt er auf und lehnt sich über den Tisch.
    »Ich muß sie haben! Ich muß, verstehst du das, seit vier Stunden saufe ich ein Glas von diesem Dreck nach dem anderen. Ich bin nicht einmal angesäuselt. Das Zeug rinnt wie Wasser in mir herunter, bloß daß mir die Eier kochen. Sag etwas, die tun doch alle, was du willst – laß mir dieses Mädchen«, sagt er abgehackt und wild. Seine Hände wirbeln gegen mich.
    »Nein«, sage ich. Er steckt die Hände in die Hosentaschen, starrt mich aus schmalen Augen an.
    »Ein gutes Gefühl, da sitzen zu können, hinter einem Schreibtisch, und nein zu sagen. Nein, aus, basta. Wenn ich mich nicht daran halte, bricht mir ein Unbekannter die Knochen, ist doch so, oder?« sagt er und wartet gar keine Antwort ab, hastet weiter: »Ich wollte reden mit dir, reden, verstehst du? Ich warte seit acht Uhr auf dich. Später hat es geheißen, du kämst später, und dann kam dieses Mädchen und hat nach dir gefragt. Eine andere hat ihr von dir erzählt, dem knallharten Schläger und dem zärtlichen Liebhaber, und die Kleine hat zugehört, mit großen Augen und feuchten, offenen Lippen. Dann wollte ich sie zu einem Drink einladen. Sie hat mich angeschaut, als wäre ich aussätzig oder als würde ich stinken. Voller Ekel und Abneigung. Dann hat sie sich zum Tisch gesetzt und auf dich gewartet und du, du hast sie weggeschickt, weggeschickt.«
    Er stößt die Worte einzeln, wie Brocken, hervor, dann schüttet er den Weinbrand hinunter.
    Reden, reden möchte er, und ich soll ihm zuhören. Meinetwegen, ich höre ihm zu, höre ihnen allen zu, bis mir der Schädel platzt, weil ich bei jedem das Gefühl habe, er will von mir eine Antwort, eine bestimmte Antwort. Ich kann sie nicht geben, ich weiß keine Antwort, nicht einmal für mich selbst weiß ich sie.
    Er redet, und die Kuhäugige war da und hat etwas zu trinken gebracht. Langsam verheddert er sich in den Wortketten. Es gibt Pausen, immer längere. Wir schauen in die Rauchfelder.
    »Begreifst du jetzt, warum ich mit dir reden wollte?« sagt er müde.
    »Das Mädchen ist tabu. Begreifst – du – das«, sage ich.
    »Es bleibt mir ja nichts anderes übrig«, sagt er mit schiefem Lachen. Er geht.
    Ich wollte in die Loos-Bar gehen, aber ich bleibe sitzen. Eine Mühle hinter der Stirn mahlt Gedanken zu Fetzen, zu Staub. Dann kommt der Geschäftsführer.
    »Da wartet jemand«, sagt er. Jasmin sitzt an der Bar und schreibt.
    »Vier Briefe habe ich dir geschrieben«, sagt sie und legt mir die Arme um den Hals. Sie läßt mein Weinglas füllen. Harry steht neben mir und schiebt einen Umschlag her.
    »Siebzehnhundert. Vier Herren hat sie gemacht, zufrieden?« fragt er und lächelt breit. Das Mädchen lacht übermütig und blinzelt mir zu.
    »Brav«, sage ich, lasse die beiden stehen, setze mich an einen Tisch, schiebe die faulige philanthropische Beklemmung gegen die fleckigen Wände und lasse mich vollaufen.
    ›Bin einkaufen‹, steht auf dem Zettel neben den Rosen. In meinem Kopf rangieren Güterzüge. Auf der Zunge liegt ein Geschmack, als hätte ich eine vollgesogene Monatsbinde ausgekaut. In jeder Pore meiner Kopfhaut steckt eine Nadel, die ins Gehirn sticht. Ich hole aus der Küche eine Flasche Wein. Auf dem Tisch liegt eine Zeitung. Ich versuche zu lesen. Die Buchstaben torkeln, losgelöst aus den Wörtern. Ich werfe die Zeitung auf den Fußboden.
    Die beiden kommen ins Zimmer.
    »Bist du okay?« sagt Jasmin und ist lieb, wie ein Kind mit Zöpfen und

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