Der Minus-Mann
Faltenrock. Harry macht ein besorgtes Gesicht. Seine Blicke hängen an der Flasche. Die ist nahezu leer.
»Wir fahren an die alte Donau«, sagt er. Es ist seine übliche Taktik, wenn ich trinke, will ich allein sein, und er entfernt dann alle Menschen aus meiner Umgebung.
Das Telefon läutet. Ehe Harry abheben kann, habe ich den Hörer am Ohr.
»Gehst du mit mir baden?« fragt Christa.
»Nein, ich habe zu tun«, sage ich.
»Deine Barhure muß ja ein Prachtstück sein, wenn du jetzt schon am Vormittag trinkst«, sagt sie.
»Leck mich am Arsch«, sage ich und werfe den Hörer auf den Apparat. Ich schiebe Harry Geld über den Tisch. Jasmin kommt zum Bett, beugt sich zu mir. Fremde Lippen wandern über mein Gesicht.
»Abends«, sagt sie leise. Ich schiebe sie weg.
Der Sommer rinnt nutzlos in den Dreck. Jasmin, ein schlitzäugiger Schwanzsilo mit warmer, süßlicher Haut. Briefe schreibt sie mir, die Umschläge lehnen an einem Bild von ihr in meiner Griffweite. Die Seiten sind numeriert, eng beschrieben: ›wenn ich nicht bei dir bin, lebe ich nicht, es ist also egal, was ich tue, wer mich berührt … zwei verschwitzte Männer hatte ich schon, neunhundert Schilling. Deine Hände streicheln mich, du bist ganz nahe, wenn ich die Augen schließe. Ich liebe dich, bin dein Wesen, ganz … wirf mich nicht weg‹, steht da in Kinderhandschrift. Eine seltsame Dirne …
Das Telefon schrillt in meine Gedanken. Harry.
»Weißt du, was gestern noch war?« fragt er.
»Nein«, sage ich.
»Wir haben dich nach Hause gebracht, du hast am Hof einen Passanten zusammengeschlagen«, sagt er.
»Was weiter?« frage ich.
»Nichts, außer dem Mädchen hat es niemand gesehen. Ich habe ihn hinter ein Auto gelegt. Soll ich etwas erledigen«, sagt er.
»Halte mir das Mädchen fern«, sage ich.
»Mach ich. Sie schreibt dir gerade. Willst du nicht doch kommen? Es ist heiß, und da sind Plätze, wo niemand hinkommt«, sagt er.
»Nein«, sage ich und lege auf.
Wann schlägt es ein? Polizei, oder einer bringt mich um.
Dann rufe ich Marcel an. Weißhäutig, langhaarig, blond, kultiviert. Mit klassischem Profil und sensibler Körperlichkeit. Die mögliche Verbindung zu ihr, zu Stella.
»Wo ist sie?« frage ich.
»In ihrem Haus am Berg, aber sie will dich nicht sehen«, sagt er.
»Treffen wir uns, um sechs, im Lugeck. Kommst du?« sage ich.
»Gut«, sagt er. Irgendwann taucht Gerhard auf, sprudelt eine Unmenge Nichtigkeiten hervor. Ich werfe ihn nach einer halben Stunde hinaus. Dann bestelle ich mir ein Taxi und fahre zu Ingrid. Sie ist kühl, hübsch, intellektuell und verklemmt wie ein verschlagener Furz. Ich möchte sie streicheln und küssen, bis sie weich, locker und schön ist.
»Also, das ist bemerkenswert, was Sie da geschrieben haben«, sagt sie und deutet auf ein Blatt, ›der Tag danach‹, steht da. Es ist die Geschichte vom ersten Tag nach der Entlassung aus dem Zuchthaus.
»In dieser obszönen Form ist es für unser Blatt natürlich nicht verwendbar, es ist einfach etwas zu realistisch, aber vielleicht könnte man gewisse Ausdrücke verändern«, sagt sie und verzieht die Lippen fast zu einem Lächeln.
»Traktätchen und Lügen über Gefängnisse und das Nachher sollen andere schreiben, die haben das ja auch nur mit ihrem journalistischen Berufsethos abzumachen. Ich schreibe nur, was ich gesehen habe und was ich weiß«, sage ich und gehe zur Türe.
Sie sagt noch etwas mit dem Gesicht gegen das Blatt. Ich stelle sie mir nackt vor und grinse freundlich. Sie merkt es und wird eisig.
Dann fahre ich in die Stadt. Die Hitze bohrt in den Schläfen, und der Fahrer erzählt mir von Weinheber. Während er über die Zweierlinie fährt, liest er mir aus einem Gedichtband vor.
»Scheiße«, knurrt er dazwischen. Die Ampel am Schwarzenbergplatz zeigt Rot. Er begleitet seinen Vortrag mit Gesten, und es ist sehenswert, wie er den Wagen nahezu ohne Lenkradberührung durch den Verkehr lotst. Der Mann ist verrückt.
In der Bäckerstraße steige ich aus. In der Straße ist es kühl. Menschenfontänen schießen aus den Durchhäusern. Im Schanigarten vor dem ›Nessy‹ ist kein Sessel frei. Im Lugeck setze ich mich in eine Fensternische. Harry und Jasmin gehen vorbei, ich klopfe an die Scheibe, beide kommen ins Lokal.
»Ich habe Hunger«, sagt sie.
»Setz dich auf einen Hocker an die Theke. Ich erwarte jemanden, mit dem ich allein sprechen möchte«, sage ich zu ihr. Harry verfrachtet sie auf einen Sitz vor dem Büffet, zwei Meter
Weitere Kostenlose Bücher