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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Sobota
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Drahtbüschel durch vorgestanzte Löcher in eine Metallscheibe. Diese werden genau in der Mitte gebogen und mittels eines Bindedrahtes von der Spindel festgezurrt. Ist der Kreis der Metallplatte gefüllt, werden Drähte durch kleine Löcher seitlich der Drahtbüschel gezogen und diese somit an der Metallscheibe fixiert. Zuletzt werden die Bindedrähte ausgebürstet, und eine Schleifscheibe ist fertig. Es wird bei dieser Arbeit eine Mindestleistung – ein Pensum – verlangt. Je nach Größe der Metallscheiben oder nach Härte des Materials – fünf fertige Bürsten pro Tag. Dafür, erklärt mir der Beamte, gibt es auch Zigaretten. Drei Stück pro Pensum, und wenn ich mehr arbeiten wolle, dann könnte ich auch mehr Zigaretten verdienen.
    Die Arbeit ist einfach, verlangt kein Denken. Man zersticht sich die Finger, doch das ist mir egal. Es ist Übungssache, nach einigen Wochen werde ich mich mit dem Pensum spielen.
    Es wird viel gelacht unter den Gefangenen, viel erzählt, warum und wieso und wie viele Einbrüche, wie oft man aus den Heimen geflüchtet ist und ob jemand zu Besuch kommt. Manchmal richtet auch einer das Wort an mich, dann sage ich das und das. Ich bin wegen Körperverletzung hier, nichts Besonderes, ich werde nicht lange hierbleiben.
    Die anderen verlieren das Interesse …
    Gegen halb fünf Uhr abends wird die Arbeit abgesammelt, dann werden die Werkzeuge eingesammelt. Man wäscht sich die Hände, holt sich die Zigaretten, marschiert zurück in die Zellen.
    Der erste Abend. Ich liege am Bett und rauche – zwei Zigaretten hat mir der Beamte gegeben. Er sah mich von unten her aufmerksam an. Die Gefangenen rufen sich über den Hof, sprechen, lachen, singen. Es sind meist zwei oder mehrere in einem Haftraum. Man hat mir drei Bücher auf den Tisch gelegt, als ich in der Arbeit war. ›Ein Kampf um Rom‹, ›Der König der Bernina‹ und ›Das fliegende Klassenzimmer‹.
    Ich lege die Bücher in das Wandkästchen – Abendessen – Grießbrei, anschließend Meldung.
    »Zelle 21 belegt mit einem Jugendlichen«, so muß man sich melden, sagt mir der Beamte, und, »merk dir das.«
    Ich werde es mir merken. Ich denke an nichts, gehe in der Zelle auf und ab. Das Licht wird gegen neun Uhr abgedreht, lange davor schon liege ich in den Decken, das Gesicht zur Wand. Ich höre sie nicht schreien und reden und lachen – ich schlafe. Viele Tage wie der vergangene.
    In der Werkstätte arbeiten auch einige größere Jungen, knapp an die achtzehn wie ich und darüber. Beim Händewaschen bekomme ich mit einem Streit. Ich schlage ihn gegen den Mund und gegen die Nase, er blutet stark. Der Beamte läßt mich einige Tage nicht in die Werkstätte gehen.
    »Wennst raufn wüllst, bleibst auf da Zölln.«
    Ich sitze am Fenster, schaue in den Hof, dann lese ich. Nach einigen Tagen nimmt er mich wieder zur Arbeit mit. Ein großer Mann in Uniform mit langem, schmalem Gesicht geht mit einigen Zivilisten durch die Werkstätte.
    »Da Direkta und de Gerichtsvisit«, flüstert mir ein Gefangener zu. Wir müssen in einer Reihe antreten, der Beamte meldet:
    »Einundzwanzig Gefangene bei der Arbeit.«
    Ein Zivilist fragt gegen alle:
    »Jemand Bitten oder Beschwerden?« Es sagt keiner etwas. Getuschel unter den Zivilisten, dann sagt der Direktor:
    »N. vortreten!«
    Ich trete vor die Reihe. »Das ist er«, sagt der Direktor.
    Der andere Zivilist nickt: »Aha, das also.«
    Dann gehen sie. Ein Gefangener fragt mich, warum das war. Ich weiß es nicht, sage ich und arbeite weiter.
    Einige Tage später habe ich wieder eine Prügelei. Der andere blutet stark, zwei Zähne habe ich ihm auch ausgeschlagen. Der Beamte meint, ich müßte nun ganz auf der Zelle bleiben, und er müßte einen Rapport schreiben. Ich komme zum Direktor. Ich erkläre den Vorfall. Er bestraft mich, indem er verordnet, daß ich einen Monat nicht in der Werkstätte arbeiten darf. Der Beamte läßt mir ein Arbeitsstockerl auf die Zelle bringen, nun arbeite ich im Haftraum.
    Er bringt mir Material, manchmal auch Zigaretten. Er ist ein guter Kerl. Manchmal fragt er:
    »Warum wolltest du denn deinen Vater erschlagen?«
    Ich kann ihm keine Antwort geben. Ich sage: »Ich weiß es nicht.«
    An einem Donnerstag werde ich in die Aufnahmekanzlei geholt, dort wartet ein Zivilist. Ein eleganter, junger Mann mit Brille. »Ich bin Ihr Untersuchungsrichter. Sie sind nach Eisenstadt zuständig, und ich komme einmal in der Woche hierher, da wir im Burgenland kein eigenes Gefängnis für

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