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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Sobota
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Jugendliche haben. Ich muß jetzt ein Protokoll mit Ihnen aufnehmen – das von der Gendarmerie, na ja, also, sind Sie einverstanden?«
    Er hat auch eine Sekretärin, ein junges, hübsches Mädchen, mit. Ich starre auf ihre Beine, bis das Schweigen peinlich wird. Dann folgen wieder Fragen und Fragen, und alle diese Fragen wurden ja schon von der Polizei an mich gestellt.
    ›Ich kann mich an nichts erinnern, ich weiß nicht, was damals geschehen ist.‹
    Der geschniegelte Richter sieht mich Vorwurfsvoll an- »aber Sie müssen sich erinnern können«.
    Ich kann mich aber beim besten Willen nicht erinnern, damals nicht, danach, und heute schon gar nicht.
    »Gut«, er diktiert dem Mädchen, »also schreiben wir eben, daß er sich nicht erinnern kann …«
    Mir sagt er dann, daß ich in den nächsten Wochen psychiatriert werde. Jeden Mittwoch vormittag ist Unterricht. Ein junger, glatzköpfiger Lehrer versucht, an die Gefangenen Bildung zu vermitteln. Ich schreibe an den Direktor, dann werde ich vom Schulbesuch befreit. Nicht, daß ich keine Bildung nötig hätte, aber der Mann macht mich nervös – er schreit so viel.
    »Hier wird nicht geraucht – halt den Mund, rede, wenn du gefragt wirst – du bist ein Idiot«, okay, ich bin ein Idiot, ich bin eingesperrt, und … Der Unterricht besteht vorrangig aus Erläuterungen von Geboten und Verboten. Da hocke ich doch lieber stumpfsinnig in meiner Zelle und arbeite. Meine Finger sind in den Nagelbetten vereitert, ich kann sie nur schwer abbiegen, doch man gewöhnt sich daran.
    Mit meinem Zellennachbar verstehe ich mich gut. Abends quatschen wir immer am Fenster. Er erzählt von seinen Freundinnen, ich höre ihm zu. Der bleierne Ring um mich will sich nicht lösen. Das Leben im Gefängnis ist ein Vorbeigleiten der Bilder. Ich bin draußen, es geht mich nichts an. Ich weiß nicht, wo in dieser Zeit mein Leben geschieht.
    Im vierten Stock liegen die Mädchen. Hin und wieder hört man ihre hellen Stimmen. Viele Gefangene gehen sonntags zur Messe, um sie zu sehen. Mein Zellennachbar erzählt mir von ihnen. Ich weiß, wenn man hinter der Klosettmuschel den Deckel abschraubt, kann man durch das Kanalisationsrohr mit dem Mädchen reden, das in der Zelle darüber liegt. Ich habe es nie versucht.
    An einem der nächsten Tage sagt mir mein Zellennachbar, ich solle den Deckel lösen, das Mädchen über mir wolle mit mir reden. Ich löse die Schrauben – Uschi heißt sie, hat er mir gesagt, dann rufe ich einige Male.
    Nach einer Weile höre ich klar ihre Stimme.
    »Ja, bist du der ganz unter mir, der im ersten Stock?« fragt sie.
    »Ja«, sage ich.
    »Sag, bist du arrogant, daß du dich nie meldest. Du bist doch der, der nicht mit den anderen arbeiten darf«, sagt sie.
    »Ja«, sage ich.
    »Weißt du, wie ich aussehe?« fragt sie.
    »Nein, aber wenn du nur halb so bist, wie deine Stimme klingt, bist du eine Superbraut«, sage ich.
    Sie lacht, wir reden lange Nichtigkeiten, dann fragt sie:
    »Könntest du dich nicht eine Weile anständig benehmen, daß du zum Kino gehen darfst, dann sehen wir uns ganz aus der Nähe«, sagt sie.
    »Okay, ich werde es versuchen«, sage ich.
    Es ist Suchtgift. Wenn man beginnt, kann man nicht mehr aufhören. Die langen Nachdenkstunden sind zu Ende. Ich sitze wie ein Mohammedaner am Gebetsteppich vor der Klosettmuschel und führe Liebeskonversation. Hin und wieder wird in den Zwischenstockwerken gespült, Scheiße kollert vorbei, aber das tut der Liebe keinen Abbruch. Die Gespräche werden zweideutig – »was tust du denn in der Nacht, wenn du Sehnsucht nach mir hast?«, dann eindeutig – »Ich lege mir den Finger auf den Juden und dann kreise ich so lange, bis ich fast verrückt werde – du bist dann da und leckst mich, und dann steckst du ihn mir tief hinein, deinen dicken, starken Schwanz – du, ich liebe dich.«
    Und von mir zu ihr umgekehrt. Es ist Scheiße zur Potenz, aber es ist wenigstens etwas. Manchmal sperrt der Beamte auf und brüllt, aber was zählt das schon?
    Ich verbessere meine Führung, bin sanft wie ein Lamm.
    Der Besuch der Filme und Lichtbildervorträge jeden Freitag- nachmittag wird mir gestattet. Ich sehe das Mädchen, sie sieht mich an. Wir sind uns in diesen Augenblicken nahe, eine Wärterin schreit sie an, ein Beamter stößt mich fort – was bedeutet es, sie hat gesagt - ich liebe dich – mitten in mein Gesicht.
    Beim Plaudern beginnt sie zu träumen, wir, sagt sie …
    »Wir werden draußen auch zusammen sein. Wir werden

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