Der Minus-Mann
Beamte, ein Gendarmeriewachmann.
Der Inspektor setzt sich an die Schreibmaschine.
»Setz dich da her auf den Sessel!«
Der Junge erhebt sich mühsam. Schwellungen sind in seinem Gesicht, über der rechten Augenbraue hat er einen tiefen Riß. Er setzt sich auf den Sessel gegenüber dem Schreibtisch. Die beiden Beamten stehen links und rechts.
Der Inspektor spult das Farbband der Maschine zurück, er flucht dabei leise.
»Name?« fragt der Inspektor, »ich kenn dich zwar, du Verbrecher, aber Ordnung muß sein, also!«
»N.«, sagt der Junge mit leiser Stimme.
»Vorname?«
»Heinz.«
»Geboren am?«
»9. 11. 44.«
»Wo?«
»In Schärding am Inn.«
»Welcher Bezirk?«
»Schärding am Inn.«
»Name des Vaters?«
»Karl.« Der Junge spricht mit geschlossenen Augen, die neben ihm stehenden Beamten haben die Hände verschränkt und wippen auf den Stiefelspitzen.
»Name der Mutter?«
»Helene, geborene N.«
Der Inspektor stellt weiter Fragen zur Person, zum Abschluß fragt er:
»Vorstrafen?«
»Ja, eine wegen Einbruchdiebstahls.«
»Wieviel?«
»Neun Monate Arrest.«
Dann beginnt das Verhör, der Inspektor versucht, die letzten Stunden vor der Tat zu rekapitulieren. Der Junge schweigt. Nach jeder Frage des Inspektors schlägt einer der beiden gegen den Kopf oder die Seite des Jungen.
»Du Scheißhund, an Vätern umbringen woin, und daun nix redn a no, i wer da gebn.« Der Gendarmeriewachmann schlägt mit rotem Kopf auf den Jungen ein, zwischendurch auch der andere. Der Junge schweigt. Er hängt im Sessel, man sieht, er kann sich nicht mehr aufrecht halten. Drei Stunden betreiben die Beamten dieses Verhör, dann geben sie vorläufig auf.
»Er hört ja nicht einmal zu, dieser Dreckhund«, sagt keuchend der Patrouillenleiter und wischt sich die glänzende Stirne.
Er ist beim Prügeln stark ins Schwitzen geraten.
Ein vierter Beamter betritt das Zimmer. Er geht zu dem Jungen, beugt sich zu ihm.
»Hast du Durst?«
Der Junge nickt. Der Beamte geht und holt ein Glas Wasser und gibt es dem Jungen, dann zündet er ihm eine Zigarette an und steckt sie ihm zwischen die Lippen.
»Sag, was ist dir da eingefallen, ich verstehe das nicht. Deine Eltern haben doch immer alles für dich getan. Gute Schulen, gute Internate. Du wolltest ins Ausland, sie haben dich gehen lassen, und ganz schönes Taschengeld hast du auch bekommen. Du hattest doch keine Probleme, wie konnte das passieren?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht, ob ich ihn umbringen wollte, oder nur verletzen, ich weiß gar nichts … mein Kopf ist leer … ich weiß gar nichts … nicht einmal, wie es in den Einzelheiten passiert ist … es tut mir leid.«
Die Beamten sehen sich an, erstmals, daß der Junge den Mund aufmacht.
»Dir tut es nicht leid, ich kenne dich … du wolltest ihn umbringen!«
Der Gendarmeriewachmann schreit den Jungen an. Der zuletzt Eingetretene, ein Rayoninspektor, hebt beruhigend die Hand. »Laßt ihn in Ruhe, er wird schon reden, und wenn er nichts sagen will, dann könnt ihr ihn erschlagen, dann redet er nicht. Ich kenne ihn auch schon lange.« Die Beamten bringen den Jungen in einen anderen Raum. Sie behandeln ihn ruhig und ohne Schläge. Einige Stunden später beginnen sie wieder mit dem Verhör. Sie haben nun eine psychologische Arbeitseinteilung vorgenommen. Einer schreit, einer redet dem Jungen gut zu, die anderen beiden schießen mit ihren Fragen dazwischen. Viele Stunden geht das so. Der Junge hockt noch immer verkrümmt auf einem Sessel, die Hände sind nach wie vor fest auf den Rücken gebunden.
Einmal, als er auf die Toilette muß, werden ihm die Handschellen kurz geöffnet. Aber drei Mann begleiten ihn, und die Tür muß ganz offen bleiben. Langsam ergibt sich ein Protokoll. Der Junge sagt ja und nein und ja. Manchmal sagt er auch dort ja, wo er nein sagen sollte, und manchmal sagt er nein, wo es nicht ganz paßt, z. B. als man ihn bei den ewigen Wiederholungen fragt, wann er geboren sei und wo er wohne.
Er sagt auch andere wirre Dinge, aber die werden in Amtsdeutsch übersetzt, einiges wird hinsichtlich Zeit und Ort hingebogen, anderes wird ausgelassen. Es ist später Abend, endlich unterschreibt der Junge. Der Revierinspektor ist zwar überrascht, daß er dies, ohne es zu lesen, tut, aber er ist zufrieden. Sein Werk ist getan, alles andere macht die Staatsanwaltschaft. Mit einem VW-Bus wird der Junge nach der nahen Landeshauptstadt gebracht, man löst seine Fesseln erst, als er schon in der Zelle im
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