Der Minus-Mann
uns eine Wohnung einrichten. Ich werde für dich auf den Strich gehen – ich liebe dich ja –, willst du, daß es so wird?«
Ich schaue dann gedankenverloren gegen das Scheißhaus, wenn gerade einer runterläßt, warte ich, bis sich der Geruch ein bißchen verzogen hat, dann sage ich – klar, möchte ich es auch, es wird wunderbar …
In diesen Wochen, während ich jeden Abend mit dem Mädchen spreche, komme ich zurück aus den Zwischenlandschaften, in die ich geflüchtet bin. Ich spüre, wie ich auftaue.
Eines Tages ruft man mich zum Psychiater. Ein großer, grauhaariger Mann mit tiefer, ruhiger Stimme erwartet mich. Er befragt mich zur Person, ausführlich über das Elternhaus, kurz über einige Geschehnisse um die Tat. Zwei Stunden sind vergangen, er untersucht meine Reflexe, beschreibt meine Statur, fragt mich kurz um mein körperliches Befinden. – C’est tout – ich kann gehen. Man erwägt wieder, mich in der Werkstätte arbeiten zu lassen. Einige Tage geht es gut, dann kommt es wieder zu einer Auseinandersetzung. Ein Gefangener, groß, muskulös, hat in der Zwischenzeit eine gewisse Vorrangstellung in der Werkstätte erreicht. Er befiehlt den anderen und tut dies auch bei mir. Ich schlage ihm zweimal wuchtig gegen die Fresse, er fällt gegen einen Arbeitstisch und verletzt sich am Kopf. Wieder werde ich in meiner Zelle abgesondert.
Ich habe mich an das Alleinarbeiten gewöhnt, es macht mir nichts aus. Ich schaffe spielend das doppelte und dreifache Pensum. Manchmal lasse ich mir den Preis für die Zigaretten gutschreiben, der Beamte kauft mir dann andere Sachen, wie Zahnpasta oder Lebensmittel.
Als Arbeitslohn werden sechzehn Groschen pro Stunde bezahlt. Am Monatsende ergibt sich daraus ein Gesamtbetrag von ca. 28,- Schilling, dafür kann man ebenfalls einkaufen.
Ich werde in eine andere Zelle verlegt, nun ist es vorbei mit den täglichen Liebeslitaneien. Die Zelle Nummer 16 ist zwar auf derselben Etage, aber es liegt kein Mädchen über mir. Einige Tage bin ich niedergeschlagen, dann spült das Tägliche darüber, ich vergesse.
Ich schreibe keine Briefe. Ich erwarte auch keine. Manche Beamte rufen mich ›Mörder‹ und prophezeien mir mindestens an ›Fünfa‹. Anfangs bin ich zusammengezuckt, später höre ich es nicht mehr.
Unmerklich ist der Winter gekommen. Trotz der doppelten Fenster ist es unerträglich kalt in den Zellen, die Hände sind klamm bei der Arbeit, die entzündeten Stellen schmerzen in der Kälte. Zu Weihnachten besucht mich Mutter. Ich halte sie im Arm. Zwischen uns beiden ist alles gut. Sie hat mir ein großes Paket gebracht. Immer wieder streichelt sie über mein Gesicht. Ich kann nicht sprechen, kann sie nur ansehen.
Mutter … wie vieles müßte ich sagen … aber es ist zu spät, wir können uns nur bei den Händen halten … zu verstehen ist da nichts mehr.
Der Weihnachtsabend … ein Gefängnisabend, nichts anderes … bei der Abendessenausgabe schlägt mich ein Beamter in den Magen, ich kippe nach vorn … er lacht, war ja nur ein Scherz, ach so, ach ja, ich rieche die Alkoholfahne sehr deutlich, später kann ich auch noch nicht über den Scherz lachen. Ich bin allein … tags darauf gibt es Schnitzel … es ist kalt, ich schlafe mit Hemd und Pullover.
Sechs Monate warte ich schon auf die Verhandlung, der Untersuchungsrichter sagt mir, daß ich noch einmal psychiatriert werde, von einem anderen Professor. Ich arbeite, manchmal springe ich auf und schlage die Hände um den Körper, bis mir warm ist; dann arbeite ich weiter.
Ich muß ein paar Tage pausieren, meine Hände sind unbrauchbar vereitert. Mutter besucht mich, sie läßt mir hundert Schillinge zum Einkaufen da. Ich kaufe Wurst und Weißbrot und Schokolade. Viele Tage vergehen, langsam wird es wärmer.
Der Beamte schickt mir hin und wieder neue Gefangene auf die Zelle, die ich anlerne und die mir helfen. Eines Tages bringt er wieder einen.
Der Junge ist knapp fünfzehn, weiches Gesicht, dünn, große, ängstliche Augen. Er spult Draht auf eine Ersatzspindel, sieht mich dabei ständig an.
»Hast du Angst, oder was ist los mit dir? Warum schaust du mich denn ständig an?« frage ich.
Er sieht fast aus wie ein Mädchen, wenn er so dasitzt, die langen Wimpern, seltsam … ob er schwul ist? Ich frage ihn dann über sein Leben. Er erzählt, seit seinem sechsten Lebensjahr im Heim, kennt kein Zuhause. Er ist aus einem Lehrlingsheim davongelaufen, hat mit einem anderen versucht, eine alte Trafikantin zu
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