Der Minus-Mann
Egal was – irgend etwas, meinetwegen einen Mord, dann saufe ich die Stimmung weg.
Kleider putzen, Stiefel putzen, Gewehr putzen, Zimmer putzen, Koppel putzen. Ich gebe einem zehn Schilling, »los putz mir das«, sage ich. »Putz dir deinen Dreck selber«, sagt er. Ich haue ihm eine in die Fresse, nehme ihm die zehn Schillinge weg, dann putzt er umsonst.
Am Abend ins Soldatenkino. Ich gehe allein. Da sitzt ein Mädchen. Ich setze mich neben sie – wahrscheinlich die Tochter von einem Offizier oder Unteroffizier – dann rede ich sie an. Mehr, als daß mich ihr Vater vierteilt, kann mir nicht passieren – und das ist mir scheißegal. Also rede ich, Unsinn, Verzweiflung dahinter.
»Ich bin noch verschwitzt und dreckig. Ich habe in der Küche Töpfe geputzt, aber ich muß mich einfach da hersetzen …«, sie ist sauber und schön, in dieser Dreckskaserne gibt es nichts Schönes. Sie blickt vor sich hin, nach einer Weile lächelt sie. Ich möchte sie anbeten. Ihr Gesicht ist weich.
»Die gepolsterten Sitze sind nur für Unteroffiziere und Offiziere; Mannschaftsangehörige haben in den vordersten Reihen auf den Holzbänken zu sitzen … was machen Sie hier?« Ein Stabswachtmeister steht neben mir und schnauzt mich an. Das Kino ist zu vier Fünftel leer.
Wenn das Mädchen nicht dasitzen würde …
…würde ich zu den Holzbänken gehen, einfach, weil ich müde bin, aber so …
»Wollen Sie mir das nicht nach dem Film erzählen«, sage ich und bleibe sitzen. Es wird dunkel. Der Unteroffizier sagt etwas, eine Fanfare übertönt ihn mühelos.
Das Mädchen beugt sich zu mir.
»Bitte seien Sie vernünftig. Er bringt Sie zur Meldung, dann sperrt man Sie ein«, sagt sie und legt die Hand auf meinen Arm.
»Los, verschwinden Sie, oder Sie stehen beim Rapport«, faucht der UO von der anderen Seite. Ein Speicheltropfen fliegt gegen meine Wange.
»Wiedersehen – wenn ich General bin, komme ich wieder«, sage ich zu dem Mädchen, dann gehe ich aus dem Kino. Ich glaube, der Film ist nicht besonders.
Etwas tun – einem sterndekorierten Affen eine in die Schnauze schlagen – irgend etwas tun – spitze Brüste hatte sie unter dem Pulli bewegt – irgend etwas tun – nicht bloß sitzen und in sich hineinsaufen. Mit dumpfem Hirn trotte ich durch die Kaserne.
»He, Sie, können Sie nicht grüßen«, sagt einer. Ein Hauptmann. Ich salutiere.
»Na also«, sagt er und dreht mir den Rücken zu.
Später im Bett rede ich wieder mit dem Zimmerältesten. Er erzählt aus seinem Leben. Seine Verlobte ist ihm abgehauen, jetzt ist sie wiedergekommen. Er redet, ich schlafe ein.
Am Wochenende der erste Urlaub. Mutter zuliebe – ›komm bitte, es geht mir nicht gut‹, stand in ihrem Brief – verzichte ich auf die Lehrerin.
Mutter ist sehr blaß. Vater vital und aufgeräumt. Er spricht nur vom Militär. Ich schweige mich durch die zwei Tage. Beim Abschied halte ich Mutter lange umarmt.
Märsche, Nachtübungen, Sport und Instruktionen. Jeden Abend in der Kantine. Saufen. Es muß etwas geschehen. Ich lebe wie in Trance, als würde ich etwas ungeheuer Wichtiges versäumen, aber ich kann nicht sagen, was es ist – etwas Fürchterliches, Sinnloses.
Gleichgültigkeit. Wohin spült sie mich? ›Sei vorsichtig‹, etwas in mir warnt mich, aber ich höre nicht hin.
Tage später sitze ich mit Paul, dem Zimmerältesten, in einem Gasthausgarten. Wir haben einige Bier getrunken.
»Nehmen wir uns ein Taxi. Ich klopfe dem Fahrer eine über den Schädel, dann fahren wir nach Wien. Ich habe es satt hier. Wenn ich noch ein paar Tage hier bin, schnappe ich über«, sage ich vor mich hin. Einige Worte. Ein Verbrechen? – Ich denke nicht daran, nicht eine Sekunde.
»Ja aber, ich …«, sagt er. »Was? Hast du Angst …?« sage ich scharf. Wie einfach das ist. Wer ist schon gerne feige? Seine Einwände schiebe ich mit ein paar Gläsern Bier und einer umfassenden Handbewegung unter den Tisch.
»Also wir mieten uns das Taxi für eine Fahrt nach Judenburg. Auf freier Strecke klopfe ich ihm eine, du nimmst das Lenkrad. Ich werfe ihn aus dem Wagen und wir verschwinden … so machen wir es, klar«, sage ich bestimmt. Er nickt glasig. Wir haben keinen Groschen Geld, sind vom Heer weggelaufen, man wird sofort wissen, daß wir es waren. Ich habe in Wien nichts Bestimmtes vor.
Geschieht es, vielleicht weil nichts anderes vorher geschehen ist, vielleicht aus Zufall – der Schnittpunkt der Bezüglichkeiten ist erreicht.
Wir gehen. Ich drücke gegen
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