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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Sobota
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wie immer am täglichen Zwang. Wie lange noch?
    Diesen Monat fällt die Entscheidung, ob mir das letzte Drittel der Strafe bedingt auf drei Jahre erlassen wird. Ein Richtersenat wird Ende des Monats darüber entscheiden. Ich habe zwei Vorstrafen, Einbruch und die Sache mit meinem Vater, und bin einundzwanzig Jahre alt.
    Abgelehnt. Begründung: Wegen kriminellen Vorlebens ist ein Wohlverhalten in Freiheit nicht zu erwarten.
    Welches Vorleben? Ich habe viereinhalb Jahre Gefängnis und war sechs Jahre in Internaten und Erziehungsheimen, wann hatte ich schon Zeit gehabt zu leben, es ist sinnlos, sie sind stärker, sie drücken dich mit der Schnauze in den Dreck, bis du nicht mehr atmen kannst, bis dir die Scheiße aus den Ohren quillt.
    Viele Tage gehe ich bedrückt umher. Schweigen wird mir Gewohnheit.
    Ich bin in der dritten Strafklasse, das letzte Drittel hat begonnen. Alle drei Wochen Besuch, alle zwei ein Brief, jede Woche Einkauf. Bei schönem Wetter dreimal wöchentlich eine Stunde Basketball in einem engen, staubigen Hof. Eigene Sportschuhe sind nicht gestattet. Die anstaltseigenen werden jeweils von jeder Gruppe getragen. Sind verschwitzt und … ich spiele ohne Schuhe.
    Nach zwei Sportstunden sind meine großen Zehen unbrauchbar getreten. Ein Nagel tief eingerissen, der zweite hängt nur mehr an der Nagelwurzel.
    Der Arzt zieht beide und verbindet. Ich spiele trotzdem. Es kämpfen meist zwei Betriebe gegeneinander. Es geht um nichts, gespielt wird mit ungeheurem Einsatz. Raufereien sind an der Tagesordnung.
    Es ist ein Witz, der Staub verklebt die Lungen, man kann sich kaum waschen, aber es ist Bewegung, eine Spur von Freisein im Kerker.
    In der dritten Strafklasse ist Radioerlaubnis. Man bekommt einen Kopfhörer, den man neben dem Bett in Buchsen steckt. Die Anlage wird täglich von 17 bis 21 Uhr eingeschaltet.
    Der Stockchef hat wenig Interesse an den täglichen Vorgängen. Hin und wieder drückt er mir eine leere Weinflasche in die Hand. »Auswaschen«, sagt er. Er war im Krieg Seemann, die Gefangenen nennen ihn Rudi. Er nimmt niemandem etwas weg, er sekkiert keinen. Er trinkt.
    »Mia gengan Brotausgebn … host gheat«, sagt er stotternd zu mir. Er geht voraus, sperrt die Zellen auf. Ich gehe hinterdrein und lege die Brotrationen in die Zellen. Dann sehe ich ihn nicht mehr. Einige Zellen weiter liegt er auf dem Boden. Er ist stockbesoffen. Ich helfe ihm auf. Er stützt sich auf mich bis zum Dienstzimmer. Im Sessel hinter dem Schreibtisch schläft er ein. Der Schlüsselbund liegt am Tisch. Im Kasten liegt die Pistole. Leise schließe ich die Tür von außen. Das restliche Brot gebe ich beim Mittagessen aus.
     
    Ich habe mir eine Glatze schneiden lassen. Mutter ist entsetzt, als sie mich beim Besuch sieht. Einige Male rasiere ich die Kopfhaut, dann lasse ich die Haare wachsen. Neben mir auf der Zelle liegt Helmut. Er ist Zellenhausschreiber und zuständig für das Austeilen der Krankenkost. Er hat sechs Jahre wegen Heiratsschwindel. Sein Habitus ist typisch. Groß, schlank, mit gepflegtem Bärtchen auf der Oberlippe, dunkle Hornbrille und arrogant. Mich hat er gerne. Er möchte mich mit den verschiedenen Tricks der Heiratsschwindler vertraut machen. »Beginnen darfst du damit erst, wenn du über fünfunddreißig bist. Primär ist es wichtig, seriös zu erscheinen. Im Grunde ist jede Frau für dich Kapital, wenn sie etwas besitzt, und wenn sie ohne allzugroßen Verwandten- oder Bekanntenkreis ist«, Helmut hat Stil. Er zieht es vor, auch im Gefängnis auf die Bügelfalte zu achten und Filterzigaretten zu rauchen. Die Zeitungen nannten ihn ›Lord‹. Er legt Wert auf Distanz und englische Seife. Er verwendet Lanvin und spricht nur mit Auserwählten. Sein Glanzstück war eine deutsche Hotelierswitwe, der Helmut dreihundertfünfzigtausend Mark abnahm.
    »Achte auf deine Kleidung. Frauen mögen elegante Männer. Es wäre von Vorteil, wenn du den Slang aus deiner Sprache ausmerzen würdest. Verhalte dich als Kavalier. Es lacht anscheinend jeder heute darüber, aber du wirst sehen, wie gerne Frauen diese Aufmerksamkeiten haben. Sieh über Kleinigkeiten hinweg. Falten und Tausendmarkscheine sind siamesische Zwillinge«, sagt er.
    Helmut spricht selbstverständlich lupenreines Hochdeutsch. Manchmal aber, wenn er sich ärgert, ist sein Slang nicht minder ausdrucksvoll.
    »Dieser Umgang färbt ab«, sagt Helmut dann und betupft sich die Hände mit Lanvin.
     
    England schlägt Deutschland 4:2 und wird Weltmeister. Ich

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