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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Sobota
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mit ihm«, gedehnt zu mir.
    »Sehr«, sage ich.
    »Oiso, daun brauchst den Rozzn net fressn«, sagt Vickerl und versucht dem Tier den Kopf zu zerlegen.
    »Weißt du etwas wegen einer Auseinandersetzung auf der Einser?« frage ich ihn. »Nein«, sagt er.
    Nach dem Mittagessen ist es totenstill auf der Zelle. Janos sitzt beim Tisch und legt eine Patience. Sigi und Ferdl, zwei ›Rozzn‹, schauen zu. Mozzl und Horst sitzen am kleinen Tisch und blättern in Zeitungen. Zwei andere und ich liegen am Bett und lesen. Ferdl hat mir vor dem Spaziergang einen großen, aus Blei gegossenen Schlagring gezeigt.
    »Mit dem hau i eahna des Hirn ein«, hat er dazu gesagt.
    Janos steht vom Tisch auf. Er geht zum Klosett und pinkelt. Horst steht auf und geht zum Spiegel. Er zieht einen Kamm aus der Tasche und frisiert sich. Janos betätigt die Spülung. Der Abstand zwischen den beiden ist ein Meter. Aus der Drehung schlägt Janos zu und trifft mit dem Schlagring. Horst taumelt zurück. Seine linke Gesichtshälfte ist zerfetzt. Mozzl springt auf. Im Sprung erstarrt er. Janos hält ihm das breite Messer entgegen. Die Klinge funkelt im blassen Licht. Der Zigeuner steht geduckt, mit glühenden Augen. Mozzl starrt auf das Messer, sonst seine bevorzugte Waffe, dann bückt er sich und zieht Horst hoch.
    Einer betätigt das Notzeichen. Kurze Zeit später sind acht Beamte in der Zelle. Horst wird ins Spital gebracht. Janos und Ferdl werden abgesondert. Die anderen werden verlegt. Ich habe nichts gesehen.
    Einige Monate später bekommt Janos ein Jahr dazu … er hat jetzt einundzwanzig Jahre.
     
    Ich werde auf West I verlegt. Stockchef ›Ruschi‹. Groß, dünn, nervös und unscharf.
    »Waunst an Bledsinn zaum drahst bis’d abgelöst«, sagt er zu mir … am Tag achtmal. Man gewöhnt sich daran.
    Durch das Fenster sehe ich den Gemeinschaftstrakt. Es dunkelt rasch. Die Kälte macht die Abende lang und bitter. Vater kommt zu Besuch. Mit Jahresende geht er in Pension. Er sieht alt aus und müde. Lange schüttelt er mir beim Abschied die Hand, bis ich merke, daß er mir einen Geldschein übergibt. Ich falte meine Innenhand und habe den Schein. Fünfhundert Schilling … dafür gibts eine Menge zu trinken. Weihnachten. Das Paket von zu Hause, das Übliche. Die Stimmung ist versöhnlich. Die Beamten bremsen sichtlich, sowohl in Lautstärke als auch in Sanktionen. Zwei Flaschen Schnaps. Ich bin besoffen. Der Heilige Abend. Der letzte Tag des Jahres. Alle brüllen um Mitternacht aus dem Fenster, manche schreien »Heuer geh i ham«, ich schweige, rolle mich in meine drei Decken und die Zusatzdecke. Nein, heuer noch nicht, aber es ist das letzte volle Jahr. Ein idiotischer Trost, aber doch einer.
    Im Dämmer gehen graue Schemen im Kreis. Um die große, kalt strahlende Neonleuchte in der Mitte des Hofes. Unmerklich hellt der Tag. Eine geschlossene Masse von Körpern und Gesichtern treibt vorbei.
    Schlüssel klirren, dumpfe Kommandos verhallen, Gitter rasten metallisch ein. Da und dort klappern Blechgeschirre. Lethargisch, mit hängenden Schultern, marschieren die Männer in die Werkstätten. Lichter flammen hinter Scheiben. Vermummte Gestalten säubern Wege und Treppen von Schnee und buckeligem Eis. Streuen Asche und Sand.
    Das Zellenhaus ist ausgestorben. Die schwarzen Stahlplatten der Laufgänge schimmern matt, vereinzelt hantieren Hausarbeiter mit Besen und Eimern. Ein Beamter steht beim Eingang zum Kommando. Er trägt Reithose, Stiefel, die schwere Pistole zieht den Gürtel über die Hüfte.
    Tagsüber nichts. Das Licht bleibt verkrochen hinter Wolken und Nebel. Ich lehne am Fenster. Ein bleierner Zuchthausabend. Die Kälte kriecht in die Knochen, das Fleisch, vielleicht in die Seele.
    Der Wind singt und kreischt an den Mauern. Schneebahnen, waagerecht gepeitscht, silbern glitzernd im Scheinwerferlicht.
    Erinnerungen sind da, mit grausamer Schärfe: die Wiese in stillem Grün, ein staubiger, sonnenübergossener Weg – ich sehe mich dort.
    Sehnsucht krallt, bleibt unbestimmt, namenlos.
    Die Nacht ist um mich gerollter Stacheldraht.
     
    Arbeitsplatzwechsel Nord 3.
    Ich verleihe sieben Romanhefte um ein Paket Tabak in die Zellen. Drei Wildwest-, drei Kriminal- und ein Sciencefiction-Roman. Man reißt mir die Hefte aus den Händen.
    Bei einem Filz wird mir das Radio weggenommen. Der Beamte schreibt einen Rapportzettel. Tags darauf nach dem Frühstück werde ich geholt. Strafrapport.
    Erster Raum links auf West ebenerdig.
    Ein Major, Leiter des

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