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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Sobota
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Blitzschnell ist der Junge in Hose und Hausschuhen. Ich ziehe ihn mit mir auf die untere Etage.
    »Bevor die Messe aus ist, hole ich dich, klar«, sage ich. Unhörbar öffne ich die Zellentüre des Lebenslangen und schiebe den Jungen durch den Spalt. Erwin hat die Zigaretten bereits gerichtet. Er drückt sie mir in die Hand. Ich stecke sie mir ins Hemd und schließe die Türe.
    Nach einer dreiviertel Stunde gehe ich zur Zelle und schaue durch das Guckloch. Erwin schiebt eine endlose Nummer. Ich höre ihn keuchen.
    »Heast, spritz … die Meß is aus«, sage ich durch den Türspalt. Erwin spritzt, grunzend und geräuschvoll.
    »Den Arsch kannst du dir oben waschen, leg dir ein Taschentuch in die Unterhose, daß der Dreck nicht durchrinnt«, sage ich zu dem Jungen. Die Augen auf jeder Seite des Ganges, bringe ich den Jungen zu seiner Zelle. »Zigaretten kriegst du später«, sage ich und öffne ihm die Türe. Mit sanftem Schnappen fällt sie hinter ihm ins Schloß. Dem Hausarbeiter gebe ich vier Schachteln Zigaretten, »die gibst du ihm zu Mittag«, sage ich.
    »Mach ich«, sagt er und steckt die Päckchen in die Jacke.
    Einige Tage später habe ich mit einem anderen Hausarbeiter Streit. Um eine Arbeit, die er machen sollte und nicht getan hat. Mich zieht man dafür zur Verantwortung. Er ist ein rundwüchsiger Schwachkopf, der sich etwas darauf einbildet, früher geboxt zu haben.
    Er steht auf der Etage über mir und schimpft in den kräftigsten Tönen. Einige hören zu.
    »Läßt du dir das gefallen« fragt mich Helmut, »von diesem Breitschädel mit Dreckfüllung?«
    Ich sehe mich um. Den Disput hören bereits zu viele. »Los, komm runter«, rufe ich zu ihm hinauf. Er kommt. In dem Augenblick taucht am Geländer das Gesicht eines Wachinspektors auf. Ich muß reagieren, obwohl ich weiß, wie das ausgehen kann. Der andere schlägt sofort zu. Ich kann den Kopf zur Seite nehmen. Dann treffe ich ihn. Voll. Mitten auf den breiten Mund. Er taumelt zurück. Fängt sich. Ich schlage nach. Plötzlich strömt über sein Gesicht Blut. Er verreibt es mit der Hand. Zuerst sehe ich nicht, wo der rote Schwall herkommt. Dann dreht er sich gegen das Licht, Helmut stützt ihn. Von der Nase bis zum Kinn sind die Lippen in schnurgerader Linie bis auf die Zähne geplatzt. Dann sind Beamte da und der Wachinspektor.
    »Das war ein Messer«, sagt er und, »genau durchsuchen.« Zwei Beamte führen mich in das Dienstzimmer auf Nord ebenerdig. Ich muß meine Kleider ausziehen und auf die andere Seite des Raumes gehen. Sorgfältig filzen sie. Sie finden kein Messer. Damit ist Helmut blitzschnell verschwunden. Dann werde ich in die Korrektion in eine Einzelzelle gebracht. Das heißt – Ablösung als Hausarbeiter und Zuweisung irgendeiner Scheißarbeit.
    Ich gehe lange in der Zelle auf und ab … Scheiße, Scheiße, Scheiße … das ist wohl alles, was ich denke.
    Tags darauf stehe ich bei dem öligen Major. Strafrapport.
    »Die Hausstrafe wird ausgesetzt, bis das Gerichtsurteil ergangen ist. Ihr Kontrahent liegt im Anstaltsspital. Der Arzt ist der Meinung, daß Sie ihm die Verletzung mit einem Messer zugefügt haben, stimmt das …«, sagt er.
    »Nein«, sage ich.
    »Sie sind als Hausarbeiter abgelöst und kommen in die Kuverterzeugung«, sagt er mit einem Seitenblick auf den stummen Wachinspektor neben dem Schreibtisch. Dieser nickt. Ich kann gehen.
    Also Säcke kleben. Ich werde auf Ost ebenerdig 9 verlegt. Eine Sechsmannzelle. Zwei Schwule, Sigi und Alfred, sind das Pärchen in der Zelle. Sie lieben sich sehr und knutschen ständig herum. In der Nacht kriechen sie gegenseitig unter ihre Decken. Es ist nicht feststellbar, wer das Weibchen oder das Männchen ist. Vermutlich sind beide beides. Ein älterer Gefangener mit faltigem Gesicht und dummem Lächeln liegt neben mir. Er hat zwanzig Jahre wegen Mordes, und als ich ihn frage, welcher, sagt er, »heimtückischer«, und liest weiter in dem Witzblatt, das Walter, der Einbrecher im Bett gegenüber, zu Mittag gebracht hat. Er heißt Siegel.
    »Sein Buam hot a auns Bett aunbundn und hot eahm vahungan lossn. Daß eahm dabei net fad is, hot ear und sei Oide mit Kabeln und Zigarettn a bißl nochgholfn«, sagt Walter und beugt sich zu mir herüber, und »jedesmoi waun eahm aunschau, kennt i eahm ane in die Goschn haun.« Das sechste Bett ist leer.
    In der Arbeitszelle zeigt mir ein Gefangener, wie ich die Säcke kleben soll. Er erklärt und falzt und zählt und klebt. Dann sieht er, daß ich weder

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