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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Sobota
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weggenommen, aber sonst kann ich alles tun …«, sagt er. Wie ein Schwall strömt es aus seinem Mund, zwischendurch trinkt er, raucht, fahrig und hastig, dann weiter, Monologe, konstruierte Dialoge mit dem Therapeuten. Haßtiraden gegen die übrigen, Stunden um Stunden. Ich brauche nicht zu antworten. Er genügt sich im Gespräch, braucht nur meine Anwesenheit.
    Ich liege in meiner Zelle auf dem Bett. Es ist zwei Uhr. Noch einunddreißig Tage bis zur Entlassung. Juli, glühende Luft. Heiße Haut, Sehnsucht bis in rote Kreise, zerteilt von zitternden Brüsten, glatten, feuchten, weichen Körpern, gewölbten Lippen, müdgeschaute Augen, Duft und verschwommener Großstadtlärm, Lichtblasen im schwarzen Darüber.
     
    »Was möchtest du tun, nachher«, sagt sie, die Mutter.
    »Irgendeinen Job, ich weiß es nicht. Ich habe keine Beziehung zu da draußen, ich muß mir das erst ansehen, brauche ein paar Tage Zeit«, sage ich.
    »Sollen wir Ihnen eine Arbeit besorgen? Allerdings, es käme nur eine Hilfsarbeiterbeschäftigung in Frage«, sagt die Fürsorgerin.
    »Ich weiß nicht«, sage ich.
    Arbeit … habe ich mir denn vorgestellt, ich werde arbeiten … ja, in diesen Jahren habe ich sicher oft überlegt … aber was … ich weiß es nicht … na, erst mal draußen sein …
    »Ich habe einen Job in einer Offsetdruckerei für dich«, sagt Mutter beim letzten Besuch.
    »Gut, ich werde es eben versuchen«, sage ich. Ich weiß nicht einmal, was Offsetdruck ist.
     
    Turls TBC ist positiv, er wird auf eine Lungenheilstätte transferiert. Beim Abschied laufen ihm die Tränen über das Gesicht.
    »Kannst du mich nicht besuchen kommen«, sagt er.
    »Nein«, sage ich. Die grüne Stahltür schließt sich hinter ihm – ein Jahr später stirbt er – nach einer Bauchoperation läßt er sich mit Wasser vollaufen, getreu seinem Grundsatz – alles kann man mit seinem Körper machen, wenn man nur stark genug ist, ihn mit dem Willen zu beschützen …
    Dann beginnen die vierzehn Tage Arrest für die Körperverletzung, das endgültig letzte Teilstück.
    Untertags arbeiten einige der Patienten im Erdgeschoß in einem großen Arbeitssaal. Sie fertigen Einlegearbeiten, um vierzig Groschen in der Stunde. Manchmal setze ich mich zu ihnen, zum Plaudern und Rauchen.
    »Mia woin in Oarsch gehn«, sagt Pepi zu mir. Er und Roland wollen ausbrechen. Im Erdgeschoß am Ende des Ganges, vorbei an Arbeitssaal und Duschraum, kommt man zur Korrektion. Dort macht der Gang eine Biegung. In dieser Ecke ist ein Fenster. In Kopfhöhe und vergittert. Roland und Pepi sägen abwechselnd mit einem Besteckmesser mit Wellenschliff.
    »Hüfst uns sagln?« sagt Pepi.
    »Ja«, sage ich. Zwei Stunden säge ich, dann Roland.

Nach dem Spaziergang zu Mittag wollen sie verschwinden. Ich bin der einzige, der davon weiß. Horst ahnt etwas. Er schleicht ständig um meine Zelle. Pepi war so dumm und hat mir vor dem Spaziergang seine Sachen gebracht. Horst hat das gesehen.
    Nach dem Spaziergang gehen wir vorsichtig ins Erdgeschoß. Roland öffnet das Fenster, er zieht das abgesägte Gitterstück zur Seite und gleitet durch die Öffnung, hinter ihm Pepi. Ich schiebe an den Beinen, dann ist er weg. Ich schiebe das Gitterstück wieder an seinen Platz und versuche mit weichem Brot und Zahnpasta die Ritze zu verschmieren. Dann schließe ich das Fenster und versperre es mit einem selbstgefertigten Vierkantschlüssel. Die Gitter zwischen den Etagen sind offen. Niemand hat mich gesehen.
    Eine Stunde später ist der Teufel los. Die beiden sind verschwunden. Man versucht herauszubekommen, wo und wie. Abends kommt der Direktor zu mir.
    »Sie haben ihnen geholfen«, sagt er.
    »Nein«, sage ich.
    »Sie haben nur mehr wenige Tage, sonst wären Sie wohl auch verschwunden«, sagt er.
    »Wenn ich davon gewußt hätte, sicher«, sage ich.
    Dann erscheint eine Amtsrätin mit blasser Haut und dünnen Beinen. »Ich könnte vielleicht eine Arbeit für Sie finden«, lispelt sie. Ich schaue auf ihren hochgerutschten Rock. Mein Schwanz steift sich gegen die Unterhose. Sie blättert in Blättern. Der Rock bleibt oben. Sie redet auf mich ein. Ich versuche zu antworten, der Streifen Haut, schimmernd über den Strümpfen.
    »Ich habe plötzlich starke Kopfschmerzen, kann ich gehen«, sage ich. Meine Nägel graben in die Handteller, Sie dreht ein Bein zur Seite. »Schade, ich bin …«, sagt sie … das Höschen … ich schließe die Türe hinter mir … zehn Sekunden noch und ich hätte sie auf den

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