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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Sobota
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Schulden …«, er ist sehr still und bedrückt. Er ist erst wenige Wochen hier.
     
    Dann werde ich überraschend nach Wien überstellt. Am 28. Mai 1967.
    Mittersteig – Sonderanstalt im Strafvollzug – eine weißlackierte Eisentür und Panzerglas – psychiatrisches Gefängnis für potentielle Selbstmörder, Marodeure mit Stehvermögen, Neurotiker und Simulanten, Psychopathen und Irre … Sanfte und Aggressive, Gleichgültige und Nervöse … Einzelzellen und weiße Wände, Radio und Fernsehen, Superessen und psychologische Betreuung, Gruppendynamik für Mörder und Räuber, Diebe und Betrüger – nebeneinander, und Welten zwischen ihnen. Ihr verbogenes, wehrloses, zertretenes, manipuliertes, gärendes, verzweifeltes Selbst – der Selbstbeschädiger und der Querulant, der Idiot und der Dichter, der Süchtige und der Pädophile – geschultes Personal und ärztliche Betreuung, Gitter und fünfzig Quadratmeter Steinplatten, der Spazierhof mit etwas Grün in der Mitte – Führungen und Pingpong-Raum, Schwule, Milch und Einsicht in die Damentoilette am Gericht nebenan.
    Zwanzig Häftlinge, Patienten im Strafvollzugsreglement, penetrante Toleranz und abends, nach dem Einschluß, der Bauchladen mit den bunten pharmazeutischen Herrlichkeiten, grün, gelb, blau – Valium, Truxal, Mocadon und dem geheimnisvollen, nicht etikettierten ›Hofftrankl‹, ein Arzneiglas – nach fünf Schritten kippst du aus den Schuhen. Chemische Planierspachteln für Tobende, das ›surfing‹ für die Süchtigen, Gleichgültigkeitsmedizin für die übrigen. Symptome werden aktiviert, produziert – Kopfschmerzen von der Stirn bis zur Basis, Depressionen und Schlafstörungen, Alpträume und Halluzinationen, Aggressions- und Potenzstau, niedriger Blutdruck und Schmerzen aller Art. Die Motive liegen nah – die halbnackten Mädchen gegenüber am Fenster des Pensionats, die mit Feldstechern die Gefangenen beobachten und Gegenleistungen bieten – sentimentale Musik, Onanie und Homosexualität, Perversion und in die Unendlichkeit gestaffelte Zeiträume, knallende Autotüren und johlende Betrunkene aus dem Beisl an der nahen Straßenecke, Klaustrophobie und nickende Blumen am Fenster im Nachtwind, Jodscheinwerfer, die die Dunkelheit zerpflügen, ein starres Lichtkorsett um das schwarze Gebäude legen. Vakuumstunden nach Koffein und Tranquilizerorgien. Zittern der Hände, der Nerven, der Sekunden und des Lichtes – multipliziert mit der Angst, potenziert mit der Einsamkeit, komprimiert durch Unsicherheit und sexuellen Drang. Stochern der aufgescheuchten Reflexe im nächtlichen Brei, Blockierung, Sehnsucht und keine Sprache für die Vielfalt des nicht zu Sagenden …
    Willi, der brüllende Dickwanst mit den wandernden Nadeln im Körper. »Huuuuu, ich bin ein Vogerl«, schreit er und läuft mit ausgebreiteten Armen über den Gang – im Truxalrausch.
    Roland, der blasse, aggressive Meistereinbrecher, zeitweise tobsüchtig, großmäulig und clever.
    » Rot wüll i de Wand segn, ausmoin wer ma«, brüllt er beim Brausebad, schneidet sich mit der Rasierklinge in den Oberarm.
    Horst, ausgemergelt, uninteressiert, von zeitweilig schwelender Unruhe zerrissen, vierzehn Magenoperationen, um verschluckte Gegenstände zu entfernen. »Amoi muaß i sowiso okrotzn«, sagt er und spielt – mit einem Drahtstück.
    Hermann, zart, feminin, scheu, er arbeitet an einem Buch, schreibt daneben Lyrik. »Es dem Gehirn begreiflich machen, das hier, täglich«, versonnen lächelt er zu mir, weichmundig, verschlossen, von der Schreibmaschine.
    Helmut, wachsam, forsch, verschlagen, spielt Mann, fickt die kleinen und großen Schwulen.
    Gerhard, lieb, dumm, schwul.
    Franz, rundarschig, tablettensüchtig, ängstlich, schwul.
    Harald, gepflegt, distanziert in normaler Phase, Schachspieler, Ingenieur. »Ich bezahle dir zweihunderttausend Schilling, wenn du mich hier herausholst«, sagt er mit flackernden Augen, zu jedem –ein Paranoiker.
    Fritz, dünn, endlos, gespenstisch, triefäugig und vergeßlich. »A Schuß dräust, und dea Scheißdreck schwimmt weg«, sagt er, der Drogensüchtige.
    Pepi I, zwergwüchsig, komplexzerfressen, rauflustig und ergeben, in den Anstaltsbetrieb integriert.
    Pepi II, vibrierend, brutal, voll Haß und Unruhe.
    »Hülfst ma beim Aussisageln«, sagt er zu mir.
    Roman, weibisch, affektiert, mit Neigung zur Geschlechtsumwandlung, intrigant, liebt zarte Gerüche, zarte Wäsche und einen kräftigen Schwanz im Hintern, mit Hermann verfeindet –

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