Der Mittelstürmer: Die Geschichte eines schwulen Profi Fussballers
schüttelte. »Kann man denn da gar nichts machen? Du kennst doch die Ärzte hier, ich hab nicht das Gefühl, dass sie alles für den Jungen tun.«
»Doch, das tun sie. Zeit ist einfach das Einzige, was er im Moment braucht.«
Stille.
»Wo ist Ihr Mann?«, wollte Willma wissen.
»Ach, der konnte leider nicht mitkommen.«
Betretenes Schweigen. Ein vorgetäuschter Blick auf ihre Uhr und schon brach Eva in gespielte Hektik aus. »Ich muss dann ja auch wieder … Tschüss Willma.«
Sie gaben sich die Hand.
So eine falsche Schlange, dachte Willma, ich weiß genau, warum er nicht mitkommt. Dass sein grandioser Fußballsohn schwul war, das war für den Alten zu viel. Wie schaffte er das nur? In einem Moment drehte sich sein Leben nur um Marc, und im anderen Moment existierte er nicht mehr für ihn. Sie fand es widerlich. Er war nur ein einziges Mal ins Krankenhaus gekommen. Seither kam Eva immer alleine. Sie hatte am Anfang zwar auch ihre Probleme mit »dem Lebenstil« ihres Sohnes gehabt, es war der alte Klassiker – »ich hatte mir für ihn ein anderes Leben mit Frau und Kindern vorgestellt«, aber dann schien sie sich damit erstaunlich schnell abzufinden. Das war das erste Mal, dass Willma Eva etwas zugutehalten konnte.
Sie betrat Marcs Zimmer, und wieder schlug ihr diese Schwere entgegen, die seit der Einlieferung von ihm ausging.
»Hey, Marc. Du Armer, hat dich deine Mutter sehr gequält? Eva sieht wieder mal aus, als wäre sie gerade auf dem Weg zur Oscarverleihung noch kurz bei dir vorbeigekommen.«
Er drehte sich zu ihr. Was hätte sie für ein Lächeln gegeben. Sie schaffte es einfach nicht, ihn aus dieser Lethargie zu ziehen. Früher war ihr das immer gelungen. Wo bist du bloß, und worüber denkst du nur die ganze Zeit nach?, sie schob die Gedanken zur Seite, sie wollte sich in Marcs Gegenwart nichts anmerken lassen.
»Gott, ist es dunkel hier, wer hat die denn vorgezogen?« Schnurstracks ging sie auf das Doppelfenster zu und zog die halb geschlossenen Vorhänge zur Seite. Sie merkte, dass er sich bemühte, etwas zu sagen.
»Keine Widerrede Marc, du brauchst Licht. Die Dunkelheit ist ja nicht zum Aushalten.«
Sie kippte das linke Fenster und setzt sich neben ihn ans Bett. Sie nahm seine Hand und küsste sie. »Sag mir, was du denkst.»
Er sah sie an, schüttelte aber nur den Kopf.
»Ah, bevor ich es vergesse …«, sie stand auf, lief ums Bett herum und schnappte sich ihre Tasche. Als sie wieder neben ihm saß, begann sie, diese zu durchsuchen. Nach und nach zog sie auf der Suche Dinge aus ihrer Tasche und legte sie aufs Bett. Er beobachtete sie dabei. »Wo ist es denn? So ein verfluchter Mist!« Sie war ganz versunken in ihre Suche, als sie ein Geräusch von Marc hörte. Sie sah ihn an. Er lächelte und blickte auf die kleine Sammlung, die sie ausgebreitet hatte: Bürste, Handy, Portemonnaie, Schlüssel, Kalender, Kaugummis, OBs, abgebrochene Stifte, das Papier mehrerer Schokoriegel … Sie schenkte ihm ein strahlendes Lachen. Vor Freude über sein Lächeln hätte sie fast angefangen zu weinen.
Voller Hoffnung hielt sie inne. »Ist ja nicht so wichtig«, sagte sie schnell. Sie kam mit ihrem Gesicht ganz nah an Marc heran. »Hm, mein Kleiner, sag doch was!« Sie strich sanft über seine Wangen. Er antwortete ihr nicht, sondern schloss nur seine Augen.
»Marc«, sie streichelte zärtlich über seine Stirn und seine Haare, »wir schaffen das schon.«
Marc blieb stumm, seine Augen waren wieder starr auf die Decke gerichtet. Sie blieb noch bis zum Dienstbeginn bei ihm sitzen. Was kann ich nur tun, damit es dir wieder besser geht? Bitte komm zurück, verlass mich nicht.
Willma betrat das Lokal und sah sich suchend um. Sie entdeckte Christian an einem der kleinen Tische im hinteren Teil des Lokals.
»Hey, Christian.«
Überrascht blickte er auf, er hatte sie gar nicht kommen sehen. »Hallo Willma.«
»Wie geht es dir? Wie geht es Marc?« Christian klang ehrlich besorgt. Willma sah ihn an. Er hatte sie vor ein paar Tagen angerufen, als er in der Zeitung gelesen hatte, dass Marc im Krankenhaus lag.
»Unverändert. Leider. Seit der Einlieferung ist er immer ruhiger geworden. Er redet kaum noch, und wenn, dann sind es nur wenige Worte.« Sie berichtete Christian alles, was in der letzen Zeit passiert war. Er hörte ihr aufmerksam zu, und sie hatte das Gefühl, dass ihm Marc nach wie vor sehr am Herzen lag.
Als sie fertig erzählt hatte, sagte Christian ganz leise: »Ich wünschte, ich könnte
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