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Der Moderne Knigge

Der Moderne Knigge

Titel: Der Moderne Knigge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julius Stettenheim
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Schule reitet. Dann schreibe man flink auf seiner Visitenkarte, man leide an Zahnschmerzen, lasse die Karte dem Wirt zustellen und entferne sich. Man muß eben nicht zu vergnügungssüchtig sein.
    Ebenso opferfreudig und entsagungsreich verfahre man, wenn man durch die Indiskretion des Dieners vernimmt, in der Gesellschaft sei ein Feuerwerker, ein Bierbrauer mit einem Faß, ein Kutscher mit Peitsche oder ein Kunstschütze erschienen. Man darf schon im Vorsaal nicht vergessen, daß man zwar zwei Augen habe, aber keines gut missen könne. Dasselbe gilt
mutatis mutandis
auch von etlichen anderen Einzelheiten des menschlichen Körpers.
    Ist eine Dame anwesend, welche sich um keinen Preis demaskieren will, wohl aber schweigsam tanzt und vor der Demaskierung den Ball verläßt, so hat man entweder sehr viel oder nichts verloren. Frägt man aber die Wirtin, welche sie kennt, so hat man nichts verloren. Man frage also nicht.
    Wer eine nicht allgemein bekannte Maske angelegt hat, muß darauf gefaßt sein, Irrtümer zu erwecken. Ich erinnere mich eines Gastes, der das pompöse Kostüm eines indischen Nabobs trug. Als er dann wegging und kein Trinkgeld gab, sagte der Diener: »Det war 'n Schnorrer!«
    Zu Hause angekommen, schwöre man: Nie wieder! aber so leise, daß es niemand hört, denn am folgenden Tage kommt die Einladung zum nächsten Maskenball, die man annimmt.
    Verlassen wir die Privatmaskerade, um uns wieder öffentlichen Vergnügungen zuzuwenden, für welche, wie wir wissen, die Regeln, nach denen man sich zu verhalten hat, noch nicht feststehen. Das hat das Publikum oft genug erfahren, wenn es z. B. ein langweiliges Stück abgelehnt hatte und ihm nun von einem Kritiker klar gemacht wurde, daß man einem solchen Stück einen glänzenden Erfolg zu bereiten habe.
    Das Publikum weiß also noch nicht, wie es sich im
Theater
    zu benehmen hat, und geht doch schon so lange ins Theater. Ist der Kassierer am Theaterschalter sehr freundlich, so freue man sich, denn dann ist das Haus noch leer, und man bekommt ohne weiteres einen Platz. Ist das Theater aber so voll, daß man, wie es in den Reklamen heißt, mit Vielen unbefriedigt sich entfernen mußte, so freue man sich gleichfalls, denn wer weiß, wie unbefriedigt man sich entfernt hätte, wenn man noch einen Platz gefunden haben würde.
    Hat man seinen Parkettsitz in der Mitte der Bank, so komme man zu spät, wenn möglich erst nach dem Beginn des Aktes. Ebenso mache man es nach der Pause vor dem dritten oder vierten Akt. Denn dann müssen sich die bis zu dem gesuchten Platz sitzenden Zuschauer erheben, sehen ein, wie rücksichtslos, ja pöbelhaft dieses verspätete Kommen thatsächlich ist und nehmen sich vor, künftig pünktlich zu erscheinen, es sei denn, sie hätten einen Eckplatz.
    Sitzt man neben einem jener unglaublich rohen Zuschauer, der sich mit einem Nachbar laut, oder doch so unterhält, daß man es hören muß und gestört wird, so frage man ihn, warum er es sich gefallen lasse, daß er durch das Sprechen oder Singen auf der Bühne fortwährend unterbrochen werde. Da er, wie wir gesehen haben, sehr ungebildet ist, so versteht er die Frage nicht.
    Hört man gleich nach dem Beginn einer Novität einen der bekannten und angenehmen Zuschauer sagen: »Schon faul!«, so freue man sich, denn man hat vielleicht bisher geglaubt, es existiere kein solcher Geselle, da er ein Gebild der Phantasie sei. Der sitzt leibhaftig vor einem.
    Besucht man mit einer Dame ein realistisches Stück, so habe man Schokolade für sie und Parfüm für beide.
    Man gehe in keine Novität eines Autors, der viele Verwandte und Freunde hat, da man den Stock in der Garderobe abgeben muß und ihn also vermißt, wenn das Stück durchfällt.
    Hat man einen Nachbar, der seinen Husten mit in das Theater gebracht hat, so entferne man sich und lasse sich an der Kasse einen anderen Platz anweisen. Es giebt meines Wissens kein besseres Mittel gegen den Husten, da die, welche man in der Apotheke bekommt, wie man sieht und hört, nichts taugen. Dies befolge man so lange, bis die Direktionen das Recht erlangen, passionierte Huster aus dem Zuschauerraum zu weisen, oder bis diese so anständig werden, zu Hause zu bleiben. Dies wird noch einige Saisons dauern.
    Sitzt man neben einer Dame, in die man verliebt ist, so warte man mit der intimeren Zärtlichkeit bis nach den Zwischenakten, da es erst während des Spiels so dunkel wird, daß man den Theaterzettel nicht lesen kann. Um sich hierüber nicht ärgern zu

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