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Der Moderne Knigge

Der Moderne Knigge

Titel: Der Moderne Knigge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julius Stettenheim
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polnischer Juden verzichtet, wird allerdings während des heimatlichen Kurgebrauchs trostlos sein, denn sie sind künstlich nicht zu beschaffen. Sehr reiche Leute könnten sich allerdings den Luxus leisten, gewandte Schauspieler als polnische Juden verkleidet so auftreten zu lassen, daß sie ihnen begegnen, aber es wäre dies doch unnütz, denn es ist keinenfalls das Wahre. Die polnischen Juden müssen echt sein oder sie müssen garnicht sein. Das:
Sint, ut sunt, aut non sint
gilt nicht nur von den Jesuiten, sondern auch von den polnischen Juden.
    Vermißt man auch ungern berühmte Badegäste auf der Promenade, so lege man ein Album von Photographieen bekannter Persönlichkeiten der Neuzeit an und sehe es durch, wenn man von der Promenade zum Frühstück nach Hause kommt. Man hat hierbei den Vorteil, daß die photographierte Berühmtheit immer besser aussieht als deren Original und man deshalb niemals schwer enttäuscht wird.
    Trinkt man den Karlsbader, Marienbader oder anderen Brunnen aus der Flasche gleich nach dem Aufstehen oder noch im Bette, so wird man natürlich mancherlei schwer vermissen, was dem verwöhnten Karls- und Marienbader Kurgast oft so sehr kränkt und ihm missenswert erscheint. Indes gewöhnt man sich, wenn man ziemlich vernünftig ist, leicht an die fehlende Morgenmusik oder man ersetzt sie ganz kostenlos dadurch, daß man die Fenster öffnet und den Lärm der Pferdebahnen und anderer Verkehrsmittel in die Stube dringen läßt. Auch wird wohl in irgend einer Nähe schon in der Frühe Klavier geübt. Indes wird man auf jede Musik gern verzichten, wenn man sich sagt, daß selbst das teuerste Wasser durch Musik nicht in etwas verwandelt wird, was schlechter schmeckt.
    Man gewöhnt sich auch leicht daran, daß man beim Brunnentrinken im Hause keine Blumen bereit zu halten braucht oder, wenn man eine Dame ist, Blumen anzunehmen und sie so lange mit sich herumzutragen hat, bis man sie unbemerkt wegwerfen kann. Hält man es aber für wichtig, daß man als Kranker Blumen spendet, so bestelle man einigemal aus einer Blumenhandlung etliche Bouquets und verschenke sie, wenn man das Haus verläßt. Schon bei der ersten Überreichung der Rechnung wird man auf fernere Bouquets mit einem gewissen Vergnügen verzichten.
    Trinkt man den Brunnen außerhalb des Hauses, etwa in einem Garten, in welchem auch vorschriftgemäß nach dem Wassergenuß auf- und abgegangen wird, so bilde man sich trotzdem noch immer nicht ein, daß man ein Kurgast sei, der sich Kurwidrigkeiten zu schulden kommen lassen dürfe. Dergleichen kann sich nur der wirkliche Kurgast erlauben.
    Dagegen halte man still, wenn ein anderer Brunnentrinker seine Leiden schildert, auch wenn dies in möglichst appetitlicher Weise geschieht, was ja in einem wirklichen Kurort nicht zu geschehen pflegt. Diese Schilderung der intimsten Geschehnisse, welche so fördernd auf das Unberührtbleiben des Frühstücks wirkt, sind wohl imstande, dem Zuhörer den ganzen Zauber eines Weltbadeorts zu erschließen.
    Trifft man beim Promenieren einen Freund oder Bekannten, der Geschmack genug hat, nicht von dem körperlichen Zustand zu erzählen, der ihn zwinge, in aller Frühe Wasser zu trinken, so traue man seinen Ohren nicht. Kann man nach einer neuen Prüfung seinen Ohren trauen, so halte man den Freund oder Bekannten für die ganze Dauer der Kur fest, da er ein seltener Mensch ist, der in Badeörtern noch bedeutend seltener ist.
    Man verliebe sich nicht, wie dies in Kurorten zu geschehen pflegt. Denn dergleichen eignet sich eben für Kurorte besser als für irgend einen Platz, wo man der Gesundheit oder der Wiederherstellung lebt. Hat man sich aber unvorsichtigerweise verliebt, so spreche man mit dem Arzt darüber, um zu erfahren, ob dies nicht vielleicht als eine Verschlimmerung des körperlichen Leidens zu betrachten sei.
    Hat der Arzt Getränke, die man mit Vorliebe genießt, für die Dauer der Kur und vier Wochen darüber strenge verboten, so achte man dies Verbot, verrate es aber den Freunden in der Stadt, da man von diesen dann verführt werden wird, gerade die verbotenen Getränke zu genießen. Man hat alsdann einen Vorwand, das Verbot zu verletzen und macht den Freunden ein Vergnügen, wodurch man in den Besitz eines zweiten und gewiß edleren Vorwands gelangt ist.
    Hat man sich so weit vergessen, daß man während der Kur bis zum frühen Morgen mit guten Freunden wach blieb, so beeile man sich, früh genug nach Hause zu kommen, um nicht gleichzeitig mit dem

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