Der Modigliani Skandal
er selbst gelogen, sondern - mit seinem Segen - das ganze Dorf. Die Wahrheit zu sagen, wäre Sünde gewesen.
Als heute unversehens diese beiden Fremden aufgetaucht waren und ihn nach Danielli gefragt hatten, da fühlte er sich instinktiv wieder in jene Situation zurückversetzt, in der es seine Aufgabe war, die Juden zu beschützen - was er dann auch getan hatte, nur daß es da heutzutage gar nichts mehr zu schützen gab. Der Faschismus lag fünfunddreißig Jahre zurück, und daß die beiden sich nach Danielli erkundigt hatten, konnte nur harmlose Gründe haben. Doch war ihm keine Zeit zum Überlegen geblieben - die Hauptursache für die meisten Sünden und eine erbärmliche Ausrede dazu.
Einen Augenblick überlegte er, ob er vielleicht dem jungen Paar folgen sollte, um sich zu entschuldigen und mit einer entsprechenden Erklärung die Wahrheit zu sagen. Zweifellos würde er sich danach ein wenig erleichtert fühlen. Andererseits erschien es ihm überflüssig: Irgendwer im Dorf würde sie schon zu jener an der Weststraße gelegenen Schenke, der Heimstätte der Juden, weisen.
Die Schmerzen waren verschwunden. Er ging in das kleine Haus, wobei er, auf die lockeren Fliesen am Fuß der Treppe tretend, ein ähnliches Gefühl inniger Vertrautheit empfand wie bei anderen altgewohnten Ärgernissen: wie bei seinem Rheumatismus und bei den sattsam bekannten Sündenregistern, die er sich Woche für Woche in der Beichte von den unbelehrbaren schwarzen Schafen seiner Herde anhören mußte. Mit resignierendem Nicken gewährte er Absolution.
In der Küche holte er einen Laib Brot und schnitt mit einem ziemlich stumpfen Messer ein Stück davon ab. Er fand den Käse und kratzte die Schimmelschicht ab; dann verzehrte er sein Mittagsmahl. Der Käse schmeckte gut - was natürlich eben dem Schimmel zuzuschreiben war. Es gab so manches, das er niemals entdeckt haben würde, wäre er reich gewesen.
Nach der Mahlzeit wischte er den Teller mit einem Küchentuch ab und legte ihn wieder in den hölzernen Schrank. Zu seiner Überraschung klopfte es plötzlich an die Tür.
Normalerweise klopften die Leute nicht an seine Tür; sie öffneten sie einfach und riefen ihm einen Gruß zu. Ein Klopfen verriet, daß es sich um einen formellen Besuch handelte - allerdings war man in Poglio über derartige Besuche stets im voraus im Bilde. Während er zur Tür ging, empfand er ein angenehmes Gefühl von Neugier.
Er öffnete und sah einen kleinwüchsigen Mann vor sich, der in den Zwanzigern sein mußte. Er hatte glattes, blondes Haar, das ihm bis über die Ohren wuchs, und war, wie er fand, merkwürdig gekleidet: Er trug einen Straßenanzug und dazu eine sogenannte Fliege. In schlechtem Italienisch sagte er: »Guten Morgen, Hochwürden.«
Ein Fremder, dachte der Priester. Das erklärt das Klopfen. Es war höchst ungewöhnlich, so viele Fremde im Dorf zu haben.
Der Mann fragte: »Kann ich Sie sprechen?«
»Aber natürlich.« Der Priester führte den Fremden in die kahl wirkende Küche und bat ihn, Platz zu nehmen auf einem harten, hölzernen Stuhl.
»Sprechen Sie englisch?«
Der Priester schüttelte bedauernd den Kopf.
»Aha. Nun, ich bin ein Kunsthändler aus London«, fuhr der Mann stockend fort. »Ich suche alte Gemälde.«
Der Priester nickte verwundert. Gar kein Zweifel: Diesem Mann und dem Paar aus der Kirche ging es um ein und dieselbe Sache. Daß sich an diesem Tag gleich mehrere Fremde hier nach Gemälden umsahen, konnte beim besten Willen kein Zufall sein.
Er sagte: »Nun, ich habe keine.« Mit der Hand wies er auf die kahlen Wände.
»Vielleicht in der Kirche?«
»Nein, die Kirche hat keine Gemälde.«
Der Mann überlegte einen Augenblick, suchte offenbar nach Worten. »Gibt es im Dorf ein Museum? Oder hat irgend jemand ein paar Gemälde in seinem Haus?«
Der Priester lachte. »Mein Sohn, dies ist ein armes Dorf. Niemand kauft Gemälde. Wenn die Leute in guten Zeiten mal ein bißchen mehr Geld haben, dann essen sie Fleisch - oder trinken vielleicht Wein. Hier gibt es keine Kunstsammler.«
Der Fremde machte ein enttäuschtes Gesicht. Einen Augenblick lang überlegte der Priester, ob er ihm von seinen Rivalen erzählen sollte. Aber dann kam er auch nicht umhin, Danielli zu erwähnen, womit er diesem Mann eine Information geben würde, die er dem Paar vorenthalten hatte.
Das erschien ihm unfair. Andererseits wollte er aber auch nicht wieder lügen. Er beschloß, dem Mann von Danielli zu erzählen, falls dieser ihn fragte; von sich
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