Der Modigliani Skandal
reichte ihn Anne.
»Werden Sie sich noch längere Zeit in London aufhalten?« erkundigte er sich höflich.
»Nur noch ein paar Tage.« Anne brannte darauf, jetzt so rasch wie möglich von hier fortzukommen; aber da sie keinen Verdacht erregen wollte, mußte sie sich, um den Schein zu wahren, mit ein wenig Small-Talk abfinden.
»Dann werde ich Sie hoffentlich bei Ihrem nächsten Besuch wiedersehen.« Crowforth hielt ihr seine Hand hin.
Sie verließen das Büro und gingen die Treppe hinunter, Mitch mit der leeren Lederhülle unter dem Arm. Anne flüsterte aufgeregt: »Er hat mich nicht wiedererkannt!«
»Na und? Er hat dich immer nur aus einer gewissen Entfernung gesehen. Außerdem warst du damals die hausbackene Ehefrau eines bohemehaften Malers. Jetzt hingegen bist du eine hinreißende französische Blondine.«
Sie hatten Glück, auf der Straße sofort ein Taxi zu erwischen. Zum Hilton, sagten sie zum Fahrer. Anne lehnte sich auf dem Sitz zurück und starrte auf den Scheck, den Crowforth ihr gegeben hatte.
»O mein Gott, wir haben's geschafft«, sagte sie ruhig. Und begann dann zu schluchzen.
»Sehen wir zu, daß wir hier so schnell wie möglich rauskommen«, sagte Mitch energisch.
Es war ein Uhr nachmittags, einen Tag, nachdem sie sich im Hilton einquartiert hatten. Das letzte gefälschte Meisterwerk war gerade bei einer Galerie in Chelsea abgeliefert worden, und in Annes Handtasche aus echtem Krokodilsleder befanden sich jetzt zehn Schecks.
Sie packten ihre kleine Koffer und räumten alles fort, was noch an kleinen persönlichen Habseligkeiten herumlag: Kugelschreiber, Papier, anderes mehr. Mitch holte aus dem Bad ein Handtuch und wischte damit über die Telefone sowie über die glänzenden Oberflächen des Mobiliars.
»Das übrige spielt weiter keine Rolle. Ein einzelner Fingerabdruck an einer Wand oder an einem Fenster nützt der Polizei überhaupt nichts.« Er warf das Handtuch ins Waschbecken. »Außerdem wird's hier, bis denen ein Licht aufgeht, so viele andere Abdrücke geben, daß sie bis ans Ende ihres Lebens damit zu tun hätten, die alle auseinander zu sortieren.«
Fünf Minuten später verließen sie das Hotel. Mitch bezahlte die Rechnung mit einem Scheck für die Bank, wo er unter dem Namen Hollows und Cox ein Konto eröffnet hatte.
Mit einem Taxi fuhren sie zum Kaufhaus Harrods. Drinnen trennten sie sich. Anne fand eine Damentoilette und betrat eine der Kabinen. Sie legte ihren Koffer auf das Klosett, öffnete ihn und nahm einen Regenmantel sowie einen Hut im Südwester-Stil heraus. Sie schlüpfte in den Mantel, setzte sich den Hut auf und verließ mit ihrem Köfferchen die Kabine.
Aufmerksam betrachtete sie sich im Spiegel. Der Mantel verdeckte ihre teure Kleidung, und der unelegante Hut verbarg ihr blond gefärbtes Haar. Mit tiefer Erleichterung wurde ihr bewußt, daß es jetzt keine Rolle mehr spielte, ob irgend jemand sie erkannte oder nicht.
Diese Möglichkeit hatte sie während des gesamten Unternehmens in nervöser Anspannung gehalten. Sie kannte ja keine der Personen aus jener Sphäre der Kunstwelt; Peter kannte all diese Leute natürlich, Anne hingegen hatte sich aus solchen Beziehungen immer herausgehalten. Mitunter war sie zu einer jener sonderbaren Galerie-Partys gegangen, wo sich nie jemand die Mühe gemacht hatte, mit ihr zu sprechen. Trotzdem hätte ihr Gesicht - ihr normales Gesicht - ja irgend jemandem vertraut vorkommen können.
Sie seufzte und begann dann, ihr Make-up mit Tissue zu entfernen. Anderthalb Tage lang war sie eine glamouröse Frau von Welt gewesen. Auf der Straße hatte man sich nach ihr umgedreht. Herren mittleren Alters hatten sich in ihrer Gegenwart plötzlich einen Deut weniger würdevoll aufgeführt; hatten ihr Komplimente gemacht und Türen geöffnet. Und Frauen hatten ihre elegante Kleidung mit neidischen Blicken gestreift.
Jetzt war sie wieder - wie hatte Mitch doch noch gesagt? -»die hausbackene, mausgraue Ehefrau eines bohemehaften Malers«.
Nun, sie würde wohl nie wieder ganz »die Alte« sein. Früher hatte sie sich nie sehr für Kleider, Make-up und Parfüm interessiert. Sie hatte sich für unattraktiv gehalten und war mit ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter zufrieden gewesen. Jetzt jedoch hatte sie vom high life gekostet: hatte als schöne Schurkin Erfolg gehabt - und irgend etwas tief in ihrem Innern, das bislang verborgen gewesen war, hatte darauf reagiert. Irgend etwas -ein Geist, ein Kobold - war aus seinem Gefängnis in ihrem Herzen
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